Dreigliederung des sozialen Organismus und Ökologische Frage: Was heißt organisch denken? - Praktische Erfahrungen mit Recycling
Einleitung: Was heißt organisch denken?
Im Zeichen der ökologischen Frage ist immer mehr Menschen bewußt geworden, daß die Erde ein Planet mit begrenzten Möglichkeiten ist, auf dem der Mensch lernen muß, mit dem Gegebenen hauszuhalten. Dieser offensichtlichen Notwendigkeit steht die erdrückend starke Tendenz des westlich geprägten Wirtschaftssystems gegenüber, die Stoffe und Kräfte der Erde in einer Art und in einem Ausmaß zu verbrauchen, die zu einer Katastrophe für alle Naturreiche werden kann, es sei denn, es gelingt dem Menschen, dieses Wirtschaftssystem von Grund auf zu wandeln.
Die folgenden Ausführungen sind die schriftliche Wiedergabe eines Referates, zu dem mich Christoph Strawe einlud, da mir sowohl die Idee der reigliederung als auch die in der heute gängigen Wirtschaftspraxis entstehenden ökologischen Probleme vertraut sind. Ein Referat kann den hier angesprochenen Themenbereich natürlich nur von einem bestimmten Gesichtspunkt aus beleuchten. Mir kam es darauf an, die Beziehung, die der
soziale Organismus speziell durch das Wirtschaftsleben zum Erdorganismus hat, darzustellen und anhand meiner praktischen Erfahrungen im Bereich Wiederverwertung und Kreislaufwirtschaft zu zeigen, wo die naturvernichtende Tendenz der gängigen Wirtschaftsweise ihre Ursachen hat.
Zunächst möchte ich davon ausgehen, daß der An satz der anthroposophisch orientierten Sozialwissenschaft wesentliche Ergänzungen zu der Denkweise liefert, die ohne geisteswissenschaftlichen Hintergrund versucht, an die ökologischen Probleme heranzutreten. Die geisteswissenschaftlich orientierte Sozialwissenschaft problematisiert im Unterschied zu einem kybernetisch, systemisch oder funktional orientierten Denken in erkenntnistheoretisch begründeter Weise die Frage des Menschenbildes und darauf aufbauend die Frage der Wechselwirkung zwischen dem Menschen und den von ihm geschaffenen Einrichtungen.
Mit den letztgenannten Denkansätzen kommt man z.B. dahin, das soziale Geschehen nach dem Muster von rückgekoppelten Regelkreisläufen zu durchdenken, wie das in der ersten global aufrüttelnden Veröffentlichung in den "Grenzen des Wachstums" von Meadows geschehen ist. Diese wissenschaftliche Arbeit ist in den meisten Einzelheiten heute überholt, trotzdem ist ihre Grundaussage richtig geblieben. Was hier methodisch- wissenschaftlich nun nicht erfaßt werden kann, ist der Mensch, also derjenige, der die Regelmechanismen im Guten wie im Bösen in Gang setzt. Die wesentliche Frage, wie steht der Mensch mit seinen rationalen und irrationalen Motiven und Antrieben gesetzmäßig durch das von ihm geschaffene Gesellschaftssystems in diesen Prozessen, kann durch eine berechnende, statistische Prognostik oder eine modellhaft vorstellende Kybernetik nicht einmal hinreichend gestellt werden. Mir ist außer der anthroposophisch orientierten Sozialwissenschaft keine Wissenschaftsrichtung bekannt, welche die Handlungen und Intentionen des Menschen mit der gleichen Objektivität zu erfassen sucht, die gegenüber den ökonomisch-ökologischen Regelkreisläufen erreicht wird.
Der Standpunkt des Wissenschaftlers erschöpft sich heute darin, den Akteuren auf der sozial-ökonomischen Bühne den immer düsterer werdenden ökologischen Hintergrund in Form von immer genaueren Prognosen zu malen und zu hoffen, daß sich die wirtschaftlich agierenden Subjekte "doch mal endlich" nach diesen objektiven Tatsachen richten mögen, statt nach ihrer subjektiven Gewinnmaximierungsmaxime. "Seid vernünftig, Kollegen, sonst schafft euch die Evolution ab", so formulierte es der jüngst verstorbene Physiker Hoimar von Ditfurth, dem die ökologische Frage ein Herzensanliegen war. Die fatale Situation einer in Teilbereichen objektiven und in anderen Teilbereichen nicht aussagefähigen Wissenschaft erinnert an ein tragisch-komisches Theaterspiel zwischen einem Moralisten und einem Bösewicht. Der Berliner Volkshumor hat die Situation in einem Spruch eingefangen: "Jehe in dir" sagt der Moralist, antwortet der Bösewicht: "War ick schon, is ooch nischt los."
Die geisteswissenschaftliche Ergänzung, die über das Beschreiben und Prognostizieren ökologisch-ökonomischer Regelkreise und Modelle hinausführt, beginnt damit, daß der Begriff des sozialen Organismus in die Sozialwissenschaft eingeführt und in seiner inneren Gesetzmäßigkeit exakt erfaßt wird. Die organische Ebene vermittelt zwischen den mathematisch und modellhaft zu erfassenden äußeren Mechanismen und den dadurch wissenschaftlich nicht zu erfassenden menschlichen Motiven und Antrieben, aus denen ja die Art und Weise hervorgeht, wie das äußere Geschehen abläuft. Wenn wir erkennen, daß die ökologische Krise mit ihren sozialen Ursachen weder einseitig äußerlich durch Umweltprogramme, noch einseitig innerlich durch eine neue Ökomoral gelöst werden kann, werden wir den Schwerpunkt der Lösung auf die Erkenntnis dieser organischen Ebene legen. Diese Ebene und die ihr entsprechende Erkenntnisweise sind fähig, das Seelische des Menschen und die Rolle äußerer sozialer Verhältnisse gleichermaßen miteinzubeziehen, d.h. Inneres und Äußeres zu verbinden. In Anlehnung an Goethe können wir für die Sozialwissenschaft wie folgt formulieren:
EPIRRHEMA
Müsset im sozialen Trachten
immer eins wie alles achten;
Nichts ist drinnen, nichts ist draußen:
denn was innen, das ist außen.
So ergreifet ohne Säumnis
Heilig öffentlich Geheimnis.
Freuet euch des wahren Scheins,
Euch des ernsten Spieles:
Kein Lebendiges ist ein Eins,
Immer ists ein Vieles.
Die Frage, die ernst und gründlich beantwortet werden muß, lautet: Was heißt organisch denken, und was ist ein Organismus in Bezug auf das soziale Zusammenleben der Menschheit?
Organismus heißt zunächst allgemein, daß es sich um ein lebendiges Wesen handelt, das eine gesetzmäßig bestimmte Entwicklung in der Zeit durchmacht. Das Wesen entfaltet seine Wirkenskräfte oder Wesenswirkung, die wir im Folgenden "Funktionen" nennen, in der Zeit. Da die Entwicklung in der Zeit durch Geburt und Tod begrenzt ist, wird sie durch drei organische Funktionen bestimmt:
- die aufbauende Funktion, die mit der Empfängnis einsetzend in der Jugendzeit des Organismus überwiegt,
- die rhythmische Funktion, die in der Lebensmitte vorherrscht, und
- die abbauende Funktion, die je mehr sich der Organismus dem Tode nähert, desto stärker den ganzen Organismus durchsetzt.
Aus dieser ersten Beschreibung geht bereits hervor, daß es nur drei Funktionen geben kann, da der Erscheinung eines Wesens als Organismus die Polarität von Leben und Tod zugrundeliegt. Mit dieser Polarität ist auf den Anfang und das Ende der jedem Organismus eigentümlichen Zeitgestalt hingewiesen, die in ihrer Eigentümlichkeit Rhythmus ist. Die Zeitgestalt unterscheidet den Organismus von dem sich in der Raumgestalt erschöpfenden Mineral, in dem sich kein individualisierter Lebensprozeß verkörpert. Der Begriff "wesenhaft" oder "Wesen" ist in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft buchstäblich zu nehmen. Der sich zwischen Geburt und Tod entwickelnde Organismus ist Ausdruck des sich inkarnierenden Lebensprozesses von Wesen oder Wesenheiten.
Zusammenwirken von Funktionen
Dem Wesenhaften begegnet der Mensch in seinem gewöhnlichen Bewußtsein direkt und unmittelbar nur im eigenen Selbstbewußtsein. In dem Punkt, in dem er sich mit sich selbst identisch weiß, zu sich selbst "Ich" sagt, liegt eine unmittelbare Wesenswirkung vor. Der Verlust des Identitätsbewußtseins kommt einem Sturz ins Wesenlose gleich. Das Wesen seiner Mitmenschen und die Wesen der Naturreiche nimmt der Mensch bloß mittelbar durch ihre äußere Erscheinung, ihre Raumgestalt wahr. Schon die Zeitgestalt kann nicht mehr unmittelbar wahrgenommen, sondern nur gedacht werden. Die Art nun "wie" in den Naturreichen diese drei Funktionen in differenzierter Weise zusammenwirken, macht ihre besondere Eigentümlichkeit aus. Das Mineral hat wie gesagt noch überhaupt keinen individualisierten Lebensprozeß in sich. Die Pflanze kennt organisch nur die aufbauende Wesenswirkung. Ihr bleibt der Tod noch etwas äußerliches, von dem sie zwar berührt wird, das sie aber noch nicht wesenhaft in sich trägt. Die abbauende Wesenswirkung wird organisch innerlich, beim Tier, dem das Sterben zu einem seelischen Erlebnis wird. Der Mensch schließlich hat das Sterbenkönnen zu einem geistigen Erlebnis gesteigert, zur Frage nach der Transformation des eigenen Bewußtseins. Da hier der Schritt von einem seelischen Bewußtsein hinein in ein geistiges möglich wird, zeichnet sich der Mensch dadurch aus, daß bei ihm die drei organischen Lebensfunktionen "Aufbau – Rhythmus – Abbau" in einem vollkommenen Gleichgewicht stehen. Nur auf der Grundlage eines vollkommenen organischen Gleichgewichtes bietet das Seelische dem Geistigen die Möglichkeit zu erscheinen. Dies auszuführen und zu begründen würde hier zu weit führen, obwohl gerade daran das Denken, das imstande ist, Ökologie und Ökonomie richtig zu verbinden, hervorragend geübt werden kann.
Wir machen nun direkt einen Sprung in die Methode der anthroposophisch orientierten Soziologie, die sich daraus ergibt, daß der Mensch fähig ist, sein eigenes Wesen zu erfassen, sich geistig, d.h. in erster Linie erkennend zu verhalten. Dies unterscheidet ihn grundlegend vom Mineral, der Pflanze und dem Tier. Viele Menschen empfinden so eine Aussage als Anmaßung. Wenn sie geduldig verfolgen würden, was sich aus dieser Aussage für den Menschen in Wahrheit ergibt, würden sie diese Meinung nicht mehr haben können. Aus ihr folgt zunächst, daß es sich für den Soziologen überhaupt nicht darum handeln kann, innerhalb der Struktur und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft nach "äußeren" Gesetzen im Sinne der Naturgesetze zu suchen und sie gedanklich als allgemein gültige zu formulieren. Da das Wesen des Menschen unmittelbar gegenwärtig ist, da wir es selbst sind, kann es nur darum gehen, dieses Wesen in angemessener Form wahrzunehmen, zu beschreiben und aufzuzeigen, wie sich aus ihm soziale Einrichtungen und ihre Wirkungsweise konstituieren und bilden.
Die drei organischen Funktionen "Aufbau – Rhythmus – Abbau" gehören zum Wesen des Menschen. Aus seinem Wesen bilden sie das soziale Leben und die sozialen Einrichtungen. Im sozialen Prozeß sind wir somit unmittelbar dabei, da die Bildekräfte des sozialen Lebens aus unserem eigenen Wesen fließen. (Zum Ausdruck "Bildekräfte": Wer anfängt, die von Steiner vorgetragene Methode und ihre Ergebnisse gründlich zu durchdenken, kommt immer wieder an Punkte, da er bewundernd vor dem Sprachgeist steht, der in dem vergleichsweise spröden Material neue Ausdrucksformen geschaffen hat. Diese Sprachschöpfungen sind allerdings für viele auch eine arge Zumutung, da sie das gewohnte Denken erschweren oder sogar unmöglich machen.)
Sowohl im sozialen, wie im natürlichen Organismus erschöpfen sich die Funktionen nicht in ihrer Tätigkeit, sondern bilden spezifische Organsysteme aus, an denen die Art ihrer Wirksamkeit gleichsam von außen abgelesen werden kann. Beim natürlichen Organismus herrscht die abbauende Funktion im Kopfbereich, im Sinnes-Nerven-Organimus vor, die rhythmische Funktion hat im Atmungs-Kreislauf-System ein Abbild ihrer organischen Tätigkeit und die aufbauende Funktion schafft sich im Stoffwechsel-Gliedmaßen-System eine ihrer Wirkungsweise entsprechende Gestalt.
Organsysteme
Eine Gestaltbildung im Bereich des Organischen ergibt sich nun immer aus dem Zusammen- und Ineinanderwirken der drei Lebensprozesse. Eine ebensfunktion kann niemals isoliert auftreten. Sie kann nur im Verhältnis zu den beiden anderen im Vordergrund stehen, d.h. im eigentlichen Sinne gestaltbildend wirken, während die beiden anderen Funktionen dann gleichsam von außen diese Gestalt modifizieren. Dies geschieht in der Tat beim
einzelmenschlichen Organismus in vorbildhafter Gleichgewichtigkeit.
- Im Haupt des Menschen hat die Abbaufunktion, der Todesprozeß die ihm eigentümliche Gestalt gebildet. Die rhythmische Funktion und der Stoffwechsel wirken von außen durch Atmung und Blut erhaltend herein.
- Im Atmungs-Kreislauf-System schafft sich die rhythmische Funktion ihr Abbild – von oben vom Nerven-Sinnes-Prozeß, von unten vom Gliedmaßen-Stoffwechsel-Prozeß – diese vermittelnd – durchzogen.
- Im Stoffwechsel-Gliedmaßen-System bildet die aufbauende Funktion ihr Organsystem aus, das durch rhythmische Funktionen geregelt und durch Sinnes-Nerven-Funktionen, die aber hier tief unbewußt sind, gesteuert werden muß.
Was sind und wie wirken nun im sozialen Leben die drei vom Menschen ausgehenden Funktionen, die dazu berechtigen, von einem sozialen Organismus zu sprechen?
- Der Mensch als fähiges Wesen baut den sozialen Organismus auf. Dabei helfen ihm auch die Begabungen und Fähigkeiten der Erde. Hinter jeder Fähigkeit steht als Wesensglied letztendlich der Geist, wie er sich in individueller Weise auslebt.
- Der Mensch als bedürftiges Wesen nimmt den sozialen Organismus in Anspruch, er verbraucht, baut letztendlich wieder ab, was von den Fähigkeiten aufgebaut worden ist. Hinter jeder Bedürftigkeit steht als Wesensglied der Leib.
- Die Mitte ist im sozialen kein naturgegebener Rhythmus, sondern die mehr oder weniger bewußte Vermittlung zwischen mündigen Menschen, welche die Gestalt von Recht und Gesetz annimmt, durch die eben Handlungsspielräume und Ansprüche, Rechte und Pflichten vermittelt und geregelt werden. Hinter dem mündigen Menschen steht als Wesensglied, der für alle Menschen gleiche Anspruch als freiheitsfähige Seele geachtet zu werden.
Aus dem fähigen, gebenden Menschen entspringt also der Aufbauprozeß im sozialen Organismus, aus dem bedürftigen, nehmenden Menschen der Abbauprozeß, die Vermittlung beider Pole wird durch den Prozeß der Mündigkeit herbeigeführt. Damit haben wir die Beziehung zwischen dem Wesen des Menschen und den sozialorganischen Funktionen hergestellt. Ebenso wie im natürlichen Organismus führen die vom Menschen ausgehenden Funktionen des Aufbaues, der Vermittlung und des Abbaues zu drei spezifischen sozialen Organsystemen, mit den ihnen entsprechenden Einrichtungen.
- Im Geistesleben, das eben dem Aufbau und der Ausbildung von Fähigkeiten dient, entstehen die Einrichtungen, der Pädagogik, der Medizin, der Wissenschaft, der Kunst und der Religion.
- Im Rechtsleben, das Handlungsspielräume eröffnet und begrenzt, finden wir wesenhaft die Organe der Legislative und der Exekutive.
- Im Wirtschaftsleben, das die Fähigkeiten in den Dienst von Bedürfnissen stellt, haben wir es mit den Betrieben und Einrichtungen der Warenproduktion und -zirkulation zu tun.
Rudolf Steiner vergleicht deshalb das Wirtschaftsleben mit dem Sinnes-Nerven-System des natürlichen Organismus, das Geistesleben mit dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System, weil er bei diesem Vergleich nur von den organischen Funktionen ausgeht. Wer dies nicht beachtet, muß sich doch wundern, warum das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System des sozialen Organismus nicht zum Wirtschaftsleben in Bezug gesetzt wird, da hier doch Nahrungsaufnahme und Verdauung stattfindet, was uns als verwandt mit wirtschaftlicher Tätigkeit anmutet, während im Kopfbereich Bewußtsein und Denken den Vergleich mit dem Geistesleben nahelegen könnten. Wer nicht beachtet, daß dieser Vergleich nur ein solcher nach organischen Funktionen ist und noch nicht das gesamte Wesen des Menschen in Betracht gezogen wird, hat immer wieder Schwierigkeiten, ihn zu verstehen und seine ungeheure methodische Bedeutung für sich fruchtbar zu machen.
Diese ergibt sich daraus, daß durch die organischen Funktionen im Sozialen die Menschheit eine "Lebensgemeinschaft" wird. – Eine Lebensgemeinschaft, keine Seelen- und keine Geistgemeinschaft. Die letzten beiden Formen werden menschheitlich erst in späteren Epochen der Kulturentwicklung erreicht werden, was aber nicht heißt, daß sie nicht in vorbildhafter Weise durch kleine Gemeinschaften vorgelebt werden könnten. Leider geschieht dies kaum, da das Bewußtsein von der gesetzmäßigen Verbundenheit jeder besonderen Menschengemeinschaft mit der Lebensgemeinschaft Menschheit viel zu schwach ausgebildet ist. Das Bewußtsein von der organischen Ebene, in der die Einheit des Lebens der Menschheit wurzelt, ist der wahrhaft tragende Untergrund für die nach Seelen- und Geistgemeinschaft Strebenden. Fehlt dieser Untergrund in seiner zeitgemäßen Entwicklungsform, bekommen solche Gemeinschaftsbildungen leicht parasitäre und sektenhafte Züge.
Das in jeder einzelnen Menschenseele schlummernde Bewußtsein, auf der Erde Teil einer großen umfassenden Lebensgemeinschaft zu sein, wird heute durch bestimmte Vermischungen zwischen Rechtsleben und Wirtschaftsleben massiv unterdrückt. Diese Vermischungen von sozialen Lebensfunktionen sind die kaum hinterfragte wahre Ursache der ökologischen Krise!! Ich werde unten am Beispiel meiner praktischen Erfahrungen darstellen, wie die Wirtschaft, die den Abbau- oder Todespol im sozialen Leben darstellt, Rechte und Fähigkeiten zur Ware macht, wodurch ein Marktsystem entsteht, das es gar nicht mehr mit Waren zu tun hat. In dem Maß als dies geschieht, können sich die einzelnen Wirtschaftssubjekte nicht verantwortlich für die ökologischen Folgen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit fühlen und hegen stattdessen den illusionären Glauben, diese Folgen dem Staat aufbürden zu können. Die globale Verantwortung kann in vermischten Verhältnissen nicht an jedem einzelnen Ort wirtschaftlichen Tuns ausgebildet werden. Stattdessen schreit alles nach einem Übervater, der diese Verantwortung übernehmen soll. Dies ist unrealistisch. Realistisch ist, soziale Einrichtungen zu schaffen, in denen die ökologischen Folgen der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht abgewälzt werden, so daß in jedem Teil – d.h. im sozialen Zusammenhang in jedem Menschen – das Bewußtsein der Ganzheit praktisch leben kann. Dann entspricht im sozialen Organismus der wirtschaftenden Menschheit das Verhältnis von Teil und Ganzem, dem Verhältnis, das einen Organismus überhaupt auszeichnet.
Wir können also festhalten, daß die eigentliche Ursache der ökologischen Krise nicht die physisch-materiellen Zerstörungs- und Verschmutzungssymptome sind, sondern die Verhinderung einer Wesensentfaltung des einzelnen Menschen durch die Vermischung der organischen Lebensfunktionen im Sozialen. Dies wird im zweiten Teil nun an einer einzelnen praktischen Erfahrung noch einmal aufgezeigt.
II. Praktische Erfahrungen beim Versuch, Stoffkreisläufe zu bewirken
1982 begann ich, eine Firma zur Rückführung von gebrauchtem Verpackungsmaterial und anderen im Handel und in der Produktion anfallenden wiederverwertbaren Stoffen aufzubauen. Nach einer Vorarbeit im Arbeitskreis Recycling des Bund für Umwelt und Naturschutz und auch mit einer praktischen Unterstützung durch diese Gruppe begann ich auf drei Gebieten den heute noch weitgehend üblichen "linearen" Stoffluß im Wirtschaftsleben punktuell in einen Kreislauf zu verwandeln. Statt der üblichen linearen Bewegung, die der Stoff durchmacht, von der Erzeugung, über den Handel zum Verbrauch und dann auf die Abfalldeponie oder in die Müllverbrennungsanlage, versuchte ich vor allem für Aluminium, Plastik und Kartonagen eine Kreislaufwirtschaft in Gang zu setzen. Ich will im Folgenden nur das Beispiel Aluminium beschreiben, da es in der Praxis heute noch am besten funktioniert und die Freiburger Aluminiumentsorgung in ihrer Art einmalig ist. Aluminium macht nur 2% des Hausmülls aus, so daß es in großtechnischen Anlagen zur Hausmüllsortierung kaum erfaßt wird. Im Arbeitskreis Recycling war uns klar, daß Aluminium nur durch Vorsortierung im einzelnen Haushalt, wenn es dort anfällt, wiederverwertbar würde. Ich stellte also im Freiburger Großraum zunächst etwa 150 Kleincontainer auf: in Kindergärten, Schulen, bei Verwaltungsgebäuden, neben Glascontainern usw. Als Container dienten Fässer, in denen eine Großkelterei für Fruchtsäfte Fruchtsaftkonzentrate aus Übersee einführte und auf deren Gelände sich die leeren Fässer zu hunderten stapelten. Die Fässer wurden einheitlich bemalt und mit einem Aufkleber versehen, auf dem alles wichtige in Kurzform zu lesen war, vor allem die Telefonnummer, die anzurufen war, wenn das Faß voll war. Dann druckten wir Flugblätter, auf denen die Technik und der Sinn der Sammlung dargestellt war. Was ist Aluminium, wie kann man es von anderen Metallen unterscheiden, warum ist es so wichtig Aluminium wiederzuverwerten usw. Alle diese Fragen waren kurz angesprochen. Dieses Flugblatt verteilten wir in den Haushalten rund um jeden Sammelcontainer und legten es in den Einrichtungen aus, die sich bereit erklärt hatten, einen Container auf ihr Gelände zu stellen.
Gleichzeitig machten wir in Gemeinde- und Kirchenblättern und in der Presse mehrmals auf die Sammlung aufmerksam und wurden dann auch öfters in Schulen und sogar in Kindergärten eingeladen, um die Sammlung darzustellen.
Der Erfolg war ziemlich durchschlagend, schon nach wenigen Monaten kamen mehrere 100 kg Aluminium pro Monat zusammen und nach einem Jahr hatte sich die Menge auf 1000kg pro Monat eingependelt. Das anfallende Aluminium mußte allerdings stets nachsortiert werden, was aber mit Hilfe eines freundlichen Schrotthändlers, der uns Großcontainer günstig zur Verfügung stellte, sehr rationell, d.h. arbeitssparend durchgeführt werden konnte. Die Sortierleistung betrug im Durchschnitt etwa 100 kg/Std, so daß insgesamt nur ein voller Tag im Monat für Sortierarbeiten eingeplant werden mußte.
Nun kommt der marktwirtschaftliche Anteil an dieser Unternehmung: Anfang des Jahres 83 bekamen wir für ein kg Aluminium beim Großhandel 0,30 DM. In dieser Phase subventionierten wir das Aluminium aus dem übrigen Betrieb. Der LKW-Fahrer, der seine Entsorgungsrunde für Druckereien und andere Betriebe drehte, leerte nebenher noch die voll gewordenen Aluminiumfässer. Im Jahre 83 stieg dieser Preis kontinuierlich, bis er etwa Mitte 84 die erstaunliche Höhe von 2,20 DM/kg erreichte. Das heißt, das, was für den Betrieb vorher ein ökologisches Werbeschildchen war, das aufgrund einer Mischkalkulation ausgehängt werden konnte, war plötzlich ein ziemlich rentabler Geschäftszweig geworden, in den es sich allemal lohnte zu investieren. Die Größe des Einzugsgebietes und die Zahl der Behälter wuchs, die Werbeanstrengungen und die Fahr- und Sortierleistung ebenfalls. Wir näherten uns in guten Monaten der 2000 kg Marke. Bei der Preislage war es nicht unrealistisch, daß die Aluminiumentsorgung bald einen vollen Arbeitsplatz abgeben würde.
Dies war indessen nicht der Fall, denn Ende 84 und dann im Laufe des Jahres 85 begann der Preis eine merkwürdige Berg- und Talfahrt, die trotz mancher hoffnungsvoller Zwischenspitzen insgesamt doch kontinuierlich nach unten zeigte, bis 1988/89 eine Talsohle von 0,10 bis 0,20 DM/kg erreicht war, aus der sich der Preis seither nicht mehr fortbewegen will, so daß die Aluminiumentsorgung sich nicht mehr der Sonnenseiten der Marktwirtschaft erfreuen kann und in einem tiefen Tal ein tristes Schattendasein fristen muß.
Dies war indessen auch nicht der Fall, denn meine Nachfolger im Betrieb – ich hatte nach etwa sieben Jahren den Altstoffhandel aus verschiedenen Gründen, die nachher noch zur Sprache kommen, ziemlich satt – waren so schlau, den Vertretern des öffentlichen Wohls ihr Leid zu klagen und ihnen mit vielen Argumenten und Überredungskünsten klar zu machen, daß dieses hoffnungsvolle Pflänzchen der Müllvermeidung doch nicht einfach sterben könne. Ein sehr eindrucksvolles Argument war beispielsweise die Tatsache, daß einige Wissenschaftler die steigende Aluminiumkonzentration im Grundwasser für die Alzheimer Krankheit verantwortlich machten, da sie im Gehirn der solcherart Erkrankten überdurchschnittlich hohe Alumimiumkonzentrationen gemessen hatten. Bei der Frage, wollt ihr auf Dauer 2000 kg Aluminium mehr im Grundwasser der Breisgauer Bucht oder nicht, wurde schon mancher Politiker nachdenklich. Aber auch der volkspädagogische Wert der Sammlung sprach immer stärker für sich. Wir hatten ganz stark auf den Dreischritt: 1. Vermeiden, 2. Sortieren und 3. Wiederverwerten, abgestellt. Angesichts dessen, daß das Ende des Fassungsvermögens der Mülldeponie auf das Jahr 1997 prognostiziert war, war ein Unternehmen, mit einem solchen Beratungsgrad, was die Müllvermeidung betrifft, eine willkommene Bereicherung. Im Laufe der Jahre 1988/89/90 unterzeichneten immer mehr Gemeinden mit der Firma Entsorgungsverträge, in denen festgelegt wurde, daß wir pro Kopf und Monat 25 Pfg. für das Angebot und die Infrastruktur Aluminiumentsorgung erhalten. Die Firma bekam nun, was der Markt nicht mehr hergab, aus den Haushaltsmitteln der Kommunen, was das Leben dieses Entsorgungszweiges rettete und, wenn man den sonst drohenden Wegfall eines Arbeitsplatzes einrechnet, wahrscheinlich für die Kommunen auch billiger war. Das Besondere an diesen Verträgen war, daß wir nicht für eine Entsorgungsleistung bezahlt wurden und somit auch kein Interesse an einer steigenden Menge des zu entsorgenden Stoffes zu haben brauchten, sondern nach wie vor die Vermeidung an erste Stelle setzen konnten. Dies unterschied unseren Vertrag ganz wesentlich von den heute üblichen Verträgen, die zwischen Kommunen und privaten Firmen abgeschlossen werden. Heute werden die Firmen in der Regel für die Entsorgungsleistung bezahlt. Da jede Firma gerne mehr Umsatz machen möchte, um ihre Betriebsmittel auszulasten oder weil es überhaupt reizvoll erscheint, immer ein bißchen und noch ein bißchen größer zu werden, setzt sich keine dieser Firmen für eine konsequente Vermeidungsstrategie ein.
"End of the Pipe"-Technologie
Einer der Gründe nun, warum ich dieses Wiederverwertungsgeschäft auf Dauer nicht betreiben mochte, war die Erkenntnis, daß es sich dabei unter den gegebenen Marktverhältnissen um eine "End of the pipe"-Technologie handelt. Mit einer solchen ist an der grundsätzlichen Weichenstellung, welche die Richtung des ganzen Systems mit zunehmender Dynamik bestimmt, nicht zu rütteln. Sie ist, obwohl einige Symptome in winzigem Umfang abgemildert werden konnten, eine Donquichotterie. Solange zwischen den verschiedenen Verpackungsherstellern keine Einigkeit über den Einsatz einer begrenzten Anzahl von Verpackungsstoffen und -arten herbeigeführt wird und stattdessen ein willkürlicher und völlig unbekümmerter Konkurrenzkampf zwischen den Betrieben der Plastikindustrie, der Metallindustrie, der Zellstoffindustrie und der Glasindustrie herrscht, ist ein Verpackungsanarchismus die Folge. Diesem ist mit keinem Wiederverwertungssystem beizukommen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, ich bin nicht gegen eine sachgemäße Anzahl von Verpackungsarten, die auch im Einzelfall je nach Erfahrung variiert werden können. Aber was heute geschieht, hat mit vernünftiger Planung nicht mehr das geringste zu tun. Wegen Pfennigbeträgen auf dem Endprodukt spielen die Lebensmittelhersteller die Glas-, Karton-, Zinkblech(Dose)- und Plastikverpackung gegeneinander aus. Ein und dasselbe Produkt wird wegen kurzfristigen Preisvorteilen in unterschiedlichen Stoffen verpackt. Für den Konsumenten, der am Ende ja auch die Müllgebühren und die Umweltkosten zu tragen hat, machen diese Preisspielchen nicht den geringsten Sinn. Ihm wäre einzig damit gedient, wenn sich die Hersteller auf Mehrwegsysteme und eine begrenzte Anzahl von stofflich gut wiederverwertbaren Verpackungsarten einigen und auf der Grundlage einer solchen Einigung den ganzen Terror begrenzen. Der Gipfel des Widersinns wird auf dem Sektor der Plastikverpackung erreicht.
Hier gibt es eine Unzahl verschiedener Plastikhersteller, die zum Teil chlorhaltige Ausgangsstoffe für die Plastikherstellung zu Schleuderpreisen von der Chlorchemie zur Verfügung gestellt bekommen. Dort fällt das Chlor als Abfallprodukt bei der Natriumgewinnung an. Jahrmillionen hat die Natur das ätzende Chlor in der Natriumchloridverbindung (Kochsalz) gebändigt, die sich mit den Mitteln der Natur kaum spalten läßt. Durch elektrochemische Spaltung begannen die Chemiebetriebe am Ende des letzten Jahrhunderts das "Salz der Erde" aufzubrechen, um die Natronlauge als Ausgangsstoff für die Aluminium-, Papier-, Textil-, und Seifenproduktion zu gewinnen. Das übrig bleibende Chlor mußte irgendwie weggeschafft werden. Dazu dienten Plastikstoffe und Kühlmittel, durch die sich der ätzende Partner des taub gewordenen Salzes bequem, unbemerkt und noch dazu gewinnbringend unter das Volk verteilen ließ. Erst seit etwa zehn Jahren bemerken wir, was das chlorreiche Gift, das sich in dieser Art nicht dauerhaft binden läßt, für uns und die Erde bedeutet.
Hier wird das Prinzip der Konkurrenzwirtschaft deutlich: In ungeheurem Ausmaß werden die Folgekosten der Produktion auf die Allgemeinheit abgewälzt. Dies geschieht aber nicht nur bei der Stoffverwertung mit ökologischen Folgen, sondern auch bei der Verwertung der Arbeitskraft mit sozialen Folgen. Auf der sozialen Seite war ein ganz ähnlicher Konkurrenzvorgang im Handel ursächlich bei der Entstehung der Verpackungsflut. Der Einzelhandel erlebte einen der größten kapitalmäßig gesteuerten Konzentrationsprozesse, die sich in der Wirtschaft abgespielt haben. Für den Handel nämlich ist im Verdrängungskampf der Zwang am größten, die Umsätze zu steigern, um die Preisaufschläge auf dem einzelnen Produkt klein halten zu können und trotzdem noch Gewinn zu machen. Dieser Zwang hat dazu geführt, daß sich schon in der Mitte der 50iger Jahre mit rasender Geschwindigkeit die Tendenz zu immer größeren Verkaufsflächen mit möglichst wenig Personal durchzusetzen begann. Große Umsätze mit wenig Personal lassen sich am besten mit Wegwerfverpackungen bewerkstelligen. Vom Handel ging ein starker Druck auf die Hersteller aus, solche Verpackungen anzubieten. Aldi ist der brutale Spitzenreiter dieses Systems geworden. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit, die in diesem Prozeß auch eine ihrer Ursachen hat, entsteht eine doppelt negative soziale Rückkopplung: Die Arbeitslosen haben weniger Geld und wollen deshalb billige Lebensmittel, die Handelskette, die am rigorosesten soziale und ökologische Folgekosten abwälzt und deshalb am billigsten anbieten kann, setzt sich bei dieser wachsenden Käuferschicht am besten durch und macht in den Milliardendimensionen, in denen heute Lebensmittel umgesetzt werden, immer noch genug Gewinn, um Konkurrenten, die auf der Strecke bleiben, aufzukaufen, zurechtzuschrumpfen und ihrem Prinzip gemäß im Markt zu plazieren.
Der grüne Punkt
Nun merken irgendwann die Kommunen, daß die Mülldeponien begrenzt sind, daß die Müllverbrennung immer schwerer durchsetzbar wird und daß es so nicht weitergehen kann. Sie machen Gesetze, um den Schaden begrenzen zu können und der Entwicklung neue Rahmenbedingungen zu verpassen. Da wir eine freie Wirtschaft haben, sind sofort irgendwelche Leute zur Stelle, die etwas zur Verwirklichung dieser Gesetze unternehmen wollen. Die politischen und bürokratischen Verwalter des öffentlichen Wohls voll Vertrauen in diese freien und zum Teil auch freigiebigen Unternehmer lassen sich von diesen sachkundigen und praxiserprobten Leuten gerne Konzepte unterbreiten, in denen gezeigt wird, wie das Müllproblem zu bändigen ist. Überzeugt von der regelnden Kraft des Konkurrenzkampfes, und mit verantwortungsschwerem Blick auf ihre begrenzten Haushaltsmittel, geben sie in der Regel dem Konzept den Zuschlag, das Ökonomie und Ökologie am besten zu vereinen scheint. Endlich einmal eine gelungene Konstellation, so könnte man denken. In der Tat hat diese Konstellation zu folgendem geführt:
Im lobbyistischen Wettbewerb um das beste Recyclingkonzept sind in den siebziger Jahren und im Beginn der achtziger ziemlich regelmäßig die Unternehmen auf der Strecke geblieben, die Wiederverwertung und im weiteren Sinne sogar Abfallvermeidung schon seit Jahrzehnten zu ihrem Beruf gemacht hatten. Dies waren die klassischen kleinen mittelständischen Altstoffhändler, die sich zum Teil zu ganz stattlichen Betrieben herausgebildet hatten, die für die möglichst gut sortierten altbekannten Sekundärrohstoffe Glas, Papier, Kleider und Metall Straßensammlungen und Containerdienste anboten. Ende der siebziger hatten sie bei den Sekundärrohstoffen gerade einmal wieder drastische Preiseinbrüche erlebt, so daß sie nicht gerade in der Stimmung für größere Investitionen waren. Abgesehen davon ließ sich auch nicht erkennen, wie der Hausmüll, d.h. alle möglichen Verpackungen, mit Essensresten und Dreck durchsetzt, zu Sekundärrohstoffen werden sollte. Der Markt wollte Qualität auch auf diesem Sektor – je sauberer, desto besser. Durchgesetzt haben sich die Unternehmen, die schon seit Jahren am steigenden Müllaufkommen bestens verdient haben, sich gar nicht vor dem Mischmasch in einer normalen Mülltonne ekelten und schon gute Kontakte zu den kommunalen Behörden hatten: die im Auftrag der Kommunen arbeitenden Müllspediteure, die die Mülleimer leeren und ihren Inhalt deponieren. Diese werden pro transportierter Tonnage bezahlt. Ein ökonomisches Verhältnis, das sie ihrem neuen Wiederverwertungskonzept als ökonomische Basis zugrundelegten, – je mehr Tonnagen, desto blühender das Geschäft. Ihr Konzept sah vor, aus der ganzen Verpackungsflut die wiederverwertbaren Bestandteile "herauszuklauben" und dadurch die Deponien zu entlasten. Der Haushalt sollte seinen Teil beitragen, indem er wenigsten einige Komponenten vorsortierte – z.B. Trockenmüll auf der einen und Naßmüll und Dreck auf der anderen Seite. Dazu brauchte der Haushalt natürlich eine zweite, manchmal sogar eine dritte Tonne. Dies kam den eng mit den Müllspediteuren verbundenen Tonnenherstellern sehr zu Passe. Der Bedarf an Mülltonnen schien sich gerade seinem Ende entgegenzuneigen, als plötzlich die Aussicht entstand, die Republik noch einmal "vertonnen" zu können. Da hinter den Tonnenherstellern die Plastikindustrie steht, schloß sich auf wunderbare Weise der Kreis – nicht der Stoffe, die Wiederverwertungsraten blieben ziemlich gering und die Marktfähigkeit des aussortierten Materials war streckenweise gleich null (es wurden zeitweise ganze Schiffsladungen von mit großem Aufwand aussortiertem Papier in ferne Länder geschickt, um den dortigen Müllverbrennungsanlagen zu einem besseren Wirkungsgrad zu verhelfen), sondern ein Kreis von Betrieben, die alle das gleiche Interesse hatten – mehr Müll, mehr Tonnen, mehr Plastik. Auf dieser Basis konnten wir für etwa 10 Jahre weitermachen wie bisher, allerdings auf einem höheren Niveau. Anfang der neunziger Jahre wurde nun wieder einmal deutlich, daß es so nicht weitergehen kann, und es gab auch einige wirklich mutige Gesetzesanläufe wie die Rücknahmepflicht beim Handel, die aber dann doch etwas kraß erschien und deshalb in die Untiefen bürokratischer Schubladen versenkt wurde.
An der Stelle durchgreifender Gesetze machten sich nun wirkliche Spitzenleute der Wirtschaft ans Werk und produzierten, zum Teil mit internationalen Verbindungen, Nägel mit Köpfen. Sie prüften nämlich jede einzelne Verpackung auf ihre Recyclingfähigkeit und verpaßten ihr danach einen grünen Punkt, durch den jeder erkennen kann, daß diese Verpackung recyclingfähig ist. Zudem versprachen sie dreierlei: ein absolut flächendeckendes Erfassungswesen für jede grünbepunktete leergewordene Hülle, ganz neuartige Verwertungstechnologien und die finanzielle Entlastung der Kommunen. Die Entsorgungskosten sind seit diesen Versprechen vorsorglich schon vor der Entsorgung in die Preise einkalkuliert. Je mehr grüne Punkte anfallen, desto größere Geldmassen sammeln sich also für die Endlösung der Entsorgung. Zudem versahen sie die alte Beseitigungstechnologie der Müllverbrennung mit dem wohlklingenden Namen "thermisches Recycling". Bevor ich nun meine bescheidene Weisheit zur Eindämmung der Verpackungsflut zum besten gebe, möchte ich die zugegebenermaßen tendenziöse Phänomenologie des Verpackungswesens mit einer kleinen dpa-Pressemeldung abschließen, die am 1.11.92 in der Berliner Morgenpost zu finden war:
"Bayern: Abfälle mit grünem Punkt verbrannt
In Bayern werden eingesammelte Kunststoffverpackungen mit dem grünen Punkt nach Darstellung des "Spiegel" gelagert und verbrannt, – statt wie gesetzlich vorgeschrieben – aufbereitet. Wie das Magazin schreibt, lagern in den Donauhäfen Regensburg und Deggendorf rund 420 Tonnen Plastikabfälle. Die deutsch amerikanische Firma "Houston Recycling" habe zwar vertraglich eine Verwertung der Kunststoffabfälle in Ungarn zugesagt. Tatsächlich sei ein Großteil des Materials aber in den Donauhäfen abgelagert und nach Slowenien verschoben worden. Ein Sprecher des bayrischen Umweltministeriums in München bestätigte dem "Spiegel" nach dessen Angaben, daß die vom Gesetz vorgesehene "Verwertung" der Abfälle mit dem Grünen Punkt "nicht möglich" sei. Für die Deponierung oder Verbrennung muß nach Informationen des Magazins jetzt der Steuerzahler aufkommen. Die Kosten für die gesamte Entsorgung bezifferte das Blatt auf 2200 Mark pro Tonne."
Müllvermeidung
Was hat ein "Dreigliederer" Positives zum Müllproblem zu sagen? Dies läßt sich in drei Worten zusammenfassen: Vermeiden, Vermeiden, Vermeiden. Im Jahre 1989 schrieb die ökologische Hauptstadt Deutschlands, die Stadt Freiburg, einen Umweltpreis für ihre Bürger aus. Die Bürger sollten in ideenreichem Wettbewerb darum eifern, den besten Vorschlag für ökologische Verbesserungen zu machen und ihren Stadtvätern vorzulegen. Damals begegnete mir ein initiativwilliger Unternehmersohn aus Aalen, der sagte, da machen wir mit. Wir entwarfen das "Pilotprojekt zur Müllvermeidung" und reichten es der Jury ein. In der Tat bekamen wir nicht den letzten Preis, sondern den drittletzten, wie sich das für Dreigliederer gehört. Er war immerhin noch mit 150 Mark dotiert – angesichts einer Arbeit von 14 Tagen, die wir zu zweit in die Projektbeschreibung gesteckt hatten eine Gelegenheit, um gut Essen zu gehen.
Spaß beiseite – unser Konzept meinte es wirklich ernst. Wir wollten für das Pilotprojekt ein Unternehmen gründen und 2000 Haushalte um uns sammeln, die wirklich willens waren, jede überflüssige Verpackung zu vermeiden. Es sollte ein "halbpersönliches" Verhältnis zwischen Haushalt und Entsorger hergestellt werden, das im Einzelfall, wenn etwas nicht klappt, in ein persönliches verwandelbar ist, in dem die Probleme dann von Mensch zu Mensch gelöst werden können. Es würde zu weit führen das ausgetüftelte Sortier- und Beratungssystem hier im Einzelnen darzustellen. Wichtig ist hingegen die Art der Kostendeckung darzustellen, da an der Kostendeckung immer abgelesen werden kann, ob Folgekosten abgewälzt werden oder nicht. Das Unternehmen sollte die Gesamtentsorgung der 2000 angeschlossenen Haushalte übernehmen, die dazu von der städtischen Entsorgung abgekoppelt werden sollten. Jeder Haushalt zahlt eine jährliche Entsorgungspauschale von 100 Mark und erhält dafür als erstes eine intensive schriftliche und bei Rückfragen persönliche Beratung zur Installierung seines Müllvermeidungs- und Sortiersystems. (Die Stadt Freiburg hat derzeit für ca 160000 Einwohner 1 Müll-, Pardon, 1 Umwelttelefon mit 2 Beratern.) Der Betrieb seinerseits hat das Interesse, das Arbeitsaufkommen für die Entsorgung möglichst klein zu halten. Damals waren gut sortierte Sekundärrohstoffe Papier, Glas, Metall usw. übrigens noch etwas wert. Die Kostenstruktur des Betriebes inklusive der Einkommensbildung der Mitglieder sollte offengelegt werden. Überschüsse hätten gegebenenfalls an die Haushalte rückvergütet werden können. Wir wollten einmal zeigen, was auf dem Gebiet der Müllvermeidung wirklich machbar ist und nach einem Jahr Vergleichszahlen gegenüber der vollkommen anonymen Entsorgung liefern. Es wären also nur Haushalte in Frage gekommen, die wirklich vermeiden wollen. Es sollte eine kleine aber vervielfältigbare Struktur geschaffen werden, in der alle Anreize auf Vermeidung eingestellt waren – ein Pilotprojekt eben. Leider versandete es nach mehreren vergeblichen Anläufen buchstäblich in den Verwaltungsstuben von Umweltberatern und Umweltdezernenten, die Zuständigkeiten abklären und bestehende Verträge beachten mußten, die Sitzungen abwarten und technische Einzelheiten prüfen wollten usw. usw.
Nach dem Ausflug in die etwas rauhe wirtschaftliche Wirklichkeit komme ich im dritten und letzten Teil zurück zum grundsätzlichen Problem einer sozialökonomischen Struktur, in welcher der einzelne Betrieb und das einzelne Unternehmen einem Verdrängungskampf unterworfen sind. Vom Gesichtspunkt der Dreigliederung aus stellt sich hier das Problem der Vermischung von Recht und Ware, von Einkommen und Arbeit, von Fähigkeit und Bedürftigkeit als Kernpunkt der ökologischen Frage.
(Den letzten Teil des Referats von Heidjer Reetz bringen wir im nächsten Rundbrief.)