Entgrenzung nach rechts? Scheinauswege aus der Isolation

von Stefan Padberg, Institut für soziale Gegenwartsfragen

Zuerst erschienen in "Sozialimpulse" 2022, Heft 1; aufbereitet für die Internetveröffentlichung 15.12.2022

Immer wieder werden in der Öffentlichkeit Vorwürfe in Richtung Anthroposophie adressiert, sie habe letztendlich eine rassistische Basis. Dass diese Vorwürfe haltlos sind, ist seitdem vielfach belegt worden. Umso mehr muss es deshalb erstaunen, wenn von einigen Anthroposophen, die sich gerne und lautstark für die Dreigliederung des sozialen Organismus engagieren, der Abstand zu rechtem Gedankengut nicht gewahrt wird. Dies kann und wird dazu führen, dass diese Ausflüge ins rechte Lager in der Öffentlichkeit als Bestätigung der These vom anthroposophischen Rassismus gelesen werden. Die Bemühungen des Vorstands der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AgiD), sich gegen die generelle Rassismus-Unterstellung zur Wehr zu setzen, werden dadurch unterminiert (vgl. „Geschlichtsklitterung als Fake News!“, Pressemitteilung vom 12.4.2022). Meine These ist: Der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus ist ohne eine echte republikanische Gesinnung nicht lebenfähig.

Die Dreigliederungsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg

Ein Blick in die Geschichte der Dreigliederungsbewegung zeigt, dass sie von Beginn an von rechten und linken Kräften bekämpft wurde. Im Rahmen der Betriebsrätebewegung 1919 störten sich Linke (Spartakisten, Unabhängige Sozialdemokraten) vor allem daran, dass die Dreigliederer Klassenkampfparolen ablehnten und für eine verständnisvolle Zusammenarbeit der Unternehmensleitungen mit den Belegschaften eintraten.

Durch die „Oberschlesische Aktion“ 1921 geriet die Dreigliederungsbewegung in die Schusslinie völkischer Kräfte. In der damaligen Volksentscheidskampagne kämpften polnische Nationalisten für ein polnisches, während deutsche Nationalisten ein deutsches Oberschlesien forderten. Sie konnten den Vorschlag der Dreigliederer von einem Oberschlesien, das weder polnisch noch deutsch sein sollte, nur als Nestbeschmutzung auffassen. Sie störten deren Veranstaltungen in Breslau und anderen Orten in Schlesien, wobei es dabei sogar zu Schusswaffengebrauch gekommen sein soll. Eine wüste Pressekampagne der Völkischen schürte danach Hass gegen Rudolf Steiner, und es kam in der Folge zu Störungen seiner Vorträge in München und Elberfeld. Er konnte deshalb aus Sicherheitsgründen keine öffentlichen Vorträge mehr in Deutschland halten.

Die Anhänger Ludendorffs und Hindenburgs träumten von der Rückkehr des Kaisers, gaben den Demokraten und den Kommunisten die Schuld am verlorenen Krieg und sabotierten die Versuche einer demokratischen Erneuerung, wo es nur ging. Sie glaubten an eine weltweite Verschwörung von Juden und Freimaurern gegen die Deutschen und sahen die parlamentarische Demokratie als von den „westlichen Plutokratien“ aufgezwungen. Niemals hätten sie eine Umorganisation der sozialen Ordnung gemäß des Dreigliederungsimpulses zugelassen. Im Gegenteil verfolgten sie das hierarchische Bild einer eher nach Ständen organisierten Gesellschaft mit dem Kaiser an der Spitze.

Nach dem Brandanschlag auf das Goetheanum in der Silvesternacht 1922/23 wurde die anthroposophische Öffentlichkeitsarbeit fast vollständig zurückgefahren, was hier nicht weiter dargestellt werden kann. Die Dreigliederungsarbeit war schon ein paar Monate vorher beendet worden. Es waren wenige Einzelne wie Folkert Wilken und Emil Leinhas, die im Anschluss an die Vortragsreihe über Wirtschaftsfragen im Sommer 1922 („Nationalökonomischer Kurs“) weiter an den aufgeworfenen Fragestellungen forschten.

Lediglich eine praktische Initiative, wenn man von der Gründung von Waldorfschulen absieht, kam danach zustande: die World Power Conference, die Daniel N. Dunlop mit der Unterstützung von Walter Johannes Stein 1924 in London ins Leben rief. In einer Zeit, in der wirtschaftliche Fragen fast vollständig unter rein nationalen Gesichtspunkten behandelt wurden, verfolgte er die Vision einer gemeinsamen wirtschaftlichen Verantwortung aller Nationen für die Energierohstoffe.

Zaghafte Neuanfänge nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Deutschland zu einer gewissen Belebung der praktischen Arbeit. (Über die Schweiz und Österreich liegen mir keine Informationen vor, und außerhalb des deutschsprachigen Raums wird es zu keiner nennenswerten Arbeit gekommen sein, vermute ich.)

Seminar für freiheitliche Ordnung

Als erstes möchte ich hier auf die Arbeit der drei Brüder Dieter, Hartmut und Lothar Vogel hinweisen, die in den 1950er-Jahren versuchten, zusammen mit Anhängern von Silvio Gesell eine Synthese zu finden zwischen dem von Walter Eucken und anderen an der Universität Freiburg im Breisgau entwickelten Ordoliberalismus, der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells und der sozialen Dreigliederung Rudolf Steiners. Die Hoffnung war damals in der Frühphase der Bundesrepublik, dass auf ordnungspolitischem Wege eine Boden- und Geldreform verankert werden könnte, wozu es bekanntlich nicht gekommen ist. Aus diesem Arbeitsansatz ist das „Seminar für freiheitliche Ordnung“ in Bad Boll entstanden.

Peter Schilinsky

Eine wichtige Initiative kam durch Peter Schilinsky zustande. Er war direkt nach dem Krieg auf Rudolf Steiners Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ gestoßen. Voller Begeisterung reiste er auf der Suche nach aktiven Dreigliederern durch ganz Deutschland. 1951 gründete er zusammen mit Ulle Weber und anderen Menschen die Witthüs-Teestuben auf Sylt und begann eine Gesprächsarbeit über Dreigliederungsfragen. In der Folge gründeten sich auch an anderen Orten Teestuben. So entstand ein erstes Netzwerk von Dreigliederern. Aus diesem Kreis entstand Anfang der 1950er-Jahre eine Initiative für eine „Volksabstimmung gegen Wiederbewaffnung“.

Somit ist Peter Schilinsky der erste Dreigliederer gewesen, der Volksabstimmungen thematisiert hat.

Hans-Georg Schweppenhäuser

Neben diesen Impulsen möchte ich noch einen dritten in Erinnerung rufen: Hans-Georg Schweppenhäuser. Er war Schüler von Folkert Wilken und setzte sich, als er 1963 in den Ruhestand ging, ganz für den anthroposophisch-sozialwissenschaftlichen Impuls ein.

Er gründete damals, zusammen mit Alfred Rexroth, Robert Jungk und Herbert F. Hillringhaus das „Institut für soziale Gegenwartsfragen“ in (West-)Berlin.

Der Achberger Impuls in den 1970er Jahren

1966 kam es zur Begegnung von Peter Schilinsky mit Wilfried Heidt und, soweit ich erkennen kann, 1971 mit Joseph Beuys, die in der Folge das Konzept „Volksabstimmung“ auf ihre je eigene Weise aufgriffen. Joseph Beuys integrierte es in seinen „erweiterten Kunstbegriff“ und Wilfried Heidt arbeitete es zusammen mit Berthold Hasenmüller in ihrer Schrift „Der Kern der Kernpunkte“ theoretisch aus.

Auf dem Achberger Jahreskongreß 1973 stieß Wilhelm Schmundt dazu und beeindruckte die anwesenden Dreigliederer mit seiner Arbeit über den sozialen Organismus und den Geldkreislauf. Er hatte viele Jahre „nebenberuflich“ – er hatte bis zu seiner Pensionierung 1965 als Lehrer an der Freien Waldorfschule Hannover gearbeitet – an Fragen der sozialen Dreigliederung gearbeitet und begann nach der Begegnung mit Joseph Beuys und den Achberger Dreigliederern eine zweite Karriere als Vortragsredner.

Aus vielen individuellen Bemühungen entstand in dieser Zeit eine erste anfängliche Bewegung für soziale Dreigliederung. Neue Initiativen bildeten sich und die Publikationstätigkeit lebte auf. So entstand 1981 beispielsweise die Zeitschrift „info3“, die sich als Sprachrohr und Bindeglied zwischen Anthroposophie, sozialer Dreigliederung und Alternativbewegung verstand.

Aufschwung nach der Wende 1989

Nach der Wende 1989 kam es zu einer weiteren Belebung der Arbeit. Die verschiedenen Dreigliederer-Gruppen versuchten, auf den Verlauf der Wende Einfluss zu nehmen. In dieser Situation ergriffen Christoph Strawe, Udo Herrmannsdorfer und andere die Initiative und fingen an, einen „Rundbrief für die Dreigliederung des sozialen Organismus“ herauszugeben und an der Vernetzung der verschiedenen Gruppierungen zu arbeiten. Den wachsenden Bedarf an Bildungsveranstaltungen, Seminaren und Fortbildungen organisierten sie zuerst im Rahmen des „Instituts für soziale Gegenwartsfragen“ (Berlin), gründeten dann 1992 ein eigenes Institut gleichen Namens in Stuttgart.

Erstes Resümee

An dieser Stelle möchte ich die Übersicht über die Entwicklung des Dreigliederungsimpulses abbrechen, wohl wissend, dass noch viel mehr gesagt werden könnte und müsste. Festzuhalten ist, dass es der Impuls bis heute nicht geschafft hat, aus der für Initiativen mit anthroposophischem Hintergrund typischen gesellschaftlichen Isolierung auszubrechen und eine Bewegung zu werden, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und eine gewisse Strahlkraft erlangt. Abgesehen von den wenigen Jahren ab 1973 in Achberg, wo man von einer anfänglichen strömungsübergreifenden Zusammenarbeit sprechen könnte, handelte es sich um mehr oder weniger isolierte, wenn nicht gar individuelle Impulse, die durch den Duktus der Arbeit, die sie tragenden Persönlichkeiten und die verwendeten Begrifflichkeiten nicht zusammenfinden konnten. Der Dreigliederungsimpuls hat bis heute keine überpersönliche Kontinuität hervorgebracht.

Man könnte argumentieren, dass eine solche überpersönliche Kontinuität gar nicht wünschenswert sei, weil dann die Gefahr bestünde, dass das Individuelle verloren ginge und dass die von mir hervorgehobene Schwäche in Wirklichkeit eine Stärke sei. Aber die Frage steht trotzdem im Raum, wie wir als soziale Dreigliederer der Gesellschaft gegenüber in eine Erkennbarkeit kommen wollen, wenn es außer der Parole „Freiheit im Geistesleben usw.“ keine Gemeinsamkeit gibt. Meine Erfahrung in der zivilgesellschaftlichen Arbeit in den letzten Jahrzehnten hat mich gelehrt, dass man um eine gewisse organisatorische Festigkeit und Wiedererkennbarkeit nicht herumkommt, wenn man ein Faktor in den öffentlichen Debatten sein will. (Die Probleme, die sich aus der relativen Überalterung und aus der männlich-deutsch-weißen Prägung in unseren Zusammenhängen ergeben, sollen hier nicht vergessen werden, aber wir teilen sie mit vielen anderen Organisationen und Bewegungen, und sie sind insofern nicht spezifisch für uns.)

Das andere, was aus heutiger Sicht hervorgehoben werden muss, ist, dass es keinem der hier erwähnten Dreigliederer jemals in den Sinn gekommen wäre, mit rechtsextremen oder nationalistischen Kräften das Gespräch zu suchen. Die Erinnerungen an die Nazizeit waren bei vielen noch vorhanden, und die Zahl alter und neuer Nazis lag in der alten Bundesrepublik in den 1980er-Jahren im unteren vierstelligen Bereich und hatte inhaltlich nicht die geringste Attraktivität.

Dies steht in deutlichem Kontrast zur aktuellen Situation, in der erstaunliche viele Menschen, die für den Dreigliederungsimpuls tätig werden wollen, mit rechtslastigen Verschwörungsnarrativen in Berührung sind und diese tolerieren oder gar aktiv einbeziehen. Mag dies noch ihrer Unerfahrenheit geschuldet sein, muss man von Mutwillen und Vorsatz sprechen, wenn einige erfahrene Anthroposophen schon seit vielen Jahren und teilweise Jahrzehnten versuchen, Anthroposophie und soziale Dreigliederung mit rechten Narrativen zu verschmelzen.

 

 

Die Neue Rechte

Was meine ich genau, wenn ich von rechten Positionen, rechten Kräften spreche? Zunächst einmal ist klar, dass damit rechtsliberale oder rechtskonservative Positionen, wie sie heute beispielsweise in der Partei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR) beheimatet sind, nicht gemeint sind. Auch die Schweizer Volkspartei (SVP) würde ich nicht dazu zählen. Sie gehören zum demokratischen Spektrum und grenzen sich von Kräften, die weiter rechts stehen, mehr oder weniger deutlich ab.

Was ich damit bezeichne, sind vor allem nationalistische und völkische Gruppierungen, die ein kulturell und ethnisch homogenes Staatsvolk anstreben. Von dieser Position aus lehnen sie zum Beispiel den Zuzug von Ausländern ab, wehren sich gegen „Überfremdung“, stehen dem Islam und vor allem den Menschen, die dieser Religion anhängen, feindlich gegenüber. Von dieser Position aus können sie auch „antikapitalistische” Positionen vertreten, weil der Kapitalismus durch seine Nachfrage nach billigen Arbeitskräften dafür verantwortlich sei, dass alle diese „volksfremden“ Gruppen ins Land geholt wurden und weil der Kapitalismus die Mitglieder der eigenen Nation in Reiche und Arme spalte. Sie wehren sich natürlich auch gegen den „gleichmacherischen“ Sozialismus, der ebenfalls die Unterschiede zwischen den Völkern und Kulturen eingeebnet habe.

Wenn sie von Freiheit sprechen, meinen sie immer die Freiheit der eigenen Nation, insbesondere die Freiheit von Kapitalismus und Sozialismus. Der „Dritte Weg“ (vgl. die Partei gleichen Namens) ist dabei eine Umschreibung für den „nationalen Sozialismus“, „National-Sozialismus“, „Sozial-Nationalismus“ und dergleichen Varianten mehr, der an die Stelle der „kapitalistisch-kommunistischen Ordnung“ treten soll.

In Deutschland kommt hinzu, dass viele Anhänger davon ausgehen, dass Deutschland nach wie vor ein besetztes Land sei. Konsequenterweise fordern sie deshalb einen Friedensvertrag. Viele von ihnen sind davon überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg von den „westlichen Plutokratien“ eingefädelt worden ist, entweder indem sie Adolf Hitler getäuscht hätten, oder weil er, von der Wall Street finanziert, ein nützlicher Idiot der Westmächte gewesen sei. In jedem Fall sei Deutschland unschuldig am Krieg, und die Entnazifizierung und Demokratisierung nach dem Krieg interpretieren sie als „Umerziehung“ des deutschen Volkes, das durch diese „Verwestlichung“ seiner ureigenen Kultur verlustig gegangen sei.

Diese Gruppen vertreten keinen offensichtlich exterminatorischen Rassismus/Antisemitismus mehr, sondern sie sprechen jetzt von „Ethnopluralismus“. Mit dieser schön klingenden Vokabel wird letztendlich ein segregierender Rassismus bezeichnet, der oberflächlich betrachtet ohne die Abwertung anderer Völker auskommen will, aber doch jedem Volk die ihm zustehende Vorherrschaft in seinem angestammten Gebiet zuspricht. De facto sind militante Aktionen oder Pogrome gegen Minderheiten damit ohne Weiteres vereinbar und haben auch in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland und anderswo stattgefunden. Auch wenn es heute netter klingen soll: Am Ende wird damit beinharter, militanter Rassismus begründet.

Die „Baseballschläger-Jahre“ nach der Wende

In der alten Bundesrepublik fielen Rechte vor allem dadurch auf, dass sie „die alten Zeiten“ verherrlichten und in ihren öffentlichen Auftritten imitierten. Dies hatte keine Anziehungskraft für die breitere Gesellschaft. Eine gewisse Änderung im Auftreten ergab sich in den 1980er-Jahren vor allem durch die Rekrutierung von Skinheads und militanten Fußballfans, die eine hohe Gewaltbereitschaft hatten und für die rechten Agitatoren leicht mobilisierbar waren. Sie prägten in dieser Zeit das Bild mit ihren kahl geschorenen Köpfen, Bomberjacken und Springerstiefeln. Auf der anderen Seite waren sie schwer in die rechten Parteistrukturen integrierbar.

Nach der Wende zogen rechte Gruppen scharenweise in die DDR oder vielmehr in die neuen Bundesländer und konnten außerordentliche Rekrutierungserfolge erzielen. Es zeigte sich, dass es in der DDR unter vielen Jugendlichen eine massive Verherrlichung der Nazizeit gab, die die 40 Jahre DDR ungebrochen überlebt hatte. Sie griffen bereitwillig die Parolen der West-Nazis auf, zündeten Ausländerheime an, terrorisierten andersdenkende Jugendliche in ihren Stadtteilen mit Baseballschlägern und versuchten, „national-befreite Zonen“ zu errichten, also Dörfer, Kleinstädte und Stadtteile, in denen Punks, politisch linke und linksliberale, aber auch staatliche Kräfte keinen Zugang mehr hatten.

Diese Phase, die in etwa die 1990er- und 2000er-Jahre umfasste, wird heute auch als „die Baseballschläger-Jahre“ diskutiert. Viele der Menschen, die heute in den östlichen Bundesländern bei PEGIDA oder im Umfeld der AfD aktiv sind, haben in dieser Zeit ihre politische Sozialisierung erhalten. Auch wenn sie heute nicht mehr mit Baseballschlägern und Springerstiefeln unterwegs sind, haben sie an ihrer deutsch-nationalen Ideologie wenig geändert.

Metapolitik

Man darf sich die Neue Rechte ideologisch nicht mehr als monolithischen Block vorstellen. Sie ist sehr debattenfreudig und gliedert sich in viele Fraktionen und Unterfraktionen, die in vielen Einzelfragen unterschiedliche Meinungen haben, sich aber problemlos zu gemeinsamen Aktivitäten verabreden können. Der Anspruch, die rechte Szene ideologisch vereinheitlichen zu wollen, führte immer nur zu absurden Grabenkämpfen und schwächte die rechte Bewegung letztendlich mehr, als dass er ihr nützte.

Der rechte Kulturtheoretiker Alain de Benoist fing deshalb in den 1980er-Jahren, zunächst in der französischen „Nouvelle Droite“, an, auf eine Strategie des Kulturkampfes und eine „Kulturrevolution von rechts“ zu orientieren. Die Zeitschrift „Junge Freiheit“ griff diesen Ball hier in Deutschland auf. Man wollte weg vom rüpelhaften Image der rechten Szene.

Metapolitikern geht es nicht darum, feste ideologische Positionen zu vertreten, sondern durch das Besetzen und Prägen von Begriffen im vorpolitischen Raum und durch das Aufgreifen von Fragestellungen, über die in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert wird, Themen zu prägen und allmählich eine kulturelle Hegemonie zu erringen.

Das heutige Erscheinungsbild der Neuen Rechten ist vielfältig und bunt – anders kann man es nicht sagen. Es gibt neben den ideologischen und gewaltbereiten Kerngruppen (laut Verfassungsschutzbericht etwa 33.000 Personen in Deutschland) ein breites „Kulturleben” mit Bücherlesungen, Buchläden, Social-Media-Kanälen auf Youtube, Instagram und Twitter, viele Websites und Blogs, Devotionalien-Shops, Lifestyle-Informationen für einen gesunden „deutschen” Lebensstil, mit Rechtsrock-Events und dem Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“. Für dieses fragmentierte, facettenreiche Erscheinungsbild hat sich deshalb der Begriff „Mosaik-Rechte” eingebürgert.

Metapolitik in der Praxis

Einer der herausragenden Inspiratoren der Bewegung ist Götz Kubitschek. Er hat der völkischen Ideologie ein sprachlich modern wirkendes pseudowissenschaftliches Gepräge gegeben. Er schreibt mit einem sehr ausgefeilten, distinguierten Stil, der sich wohltuend vom krawallartigen Agitationsstil anderer Neurechter unterscheidet. Dabei kann er gut mithalten, wenn es um Hegel, Schelling oder auch die Frankfurter Schule geht. Die „Identitäre Bewegung“ ist von ihm inspiriert worden und verbreitet sein Gedankengut vor allem bei jungen Männern.

Die Zeitschrift „Sezession“ hat er als integrierendes Theorie- und Debattenorgan der Neuen Rechten aufgestellt und erzielt in der Bewegung damit eine enorme Reichweite. Darüber hinaus leitet er den Verlag Edition Antaios, in dem (nicht nur) seine Bücher veröffentlicht werden und das Institut für Staatspolitik, das Kongresse, Bildungsveranstaltungen und Ähnliches organisiert.

Jürgen Elsässer, ursprünglich ein linksextremer Journalist mit Schwerpunkt Antiimperialismus, verfolgte etwa ab der Jahrhundertwende die Strategie, ein Bündnis von linken und nationalistischen Kräften gegen den Imperialismus zu schmieden, die sogenannte Querfront-Strategie. Daraus ist letztendlich nichts geworden, weil die Linken nicht mitzogen. Jetzt arbeitet er nur noch im rechten Spektrum.

Seit 2010 ist er Chefredakteur des Magazins „Compact“, das man als ein rechtes „Kulturmagazin“ bezeichnen kann. Verschiedenste rechte Themen werden darin relativ unideologisch aufbereitet, sodass sie auch für Menschen akzeptabel sind, die sich nicht unbedingt für rechts, rechtsextrem, völkisch oder nationalistisch halten. Es geht eindeutig um Breitenwirkung und nicht um Ideologie. Es zielt im Wesentlichen auf das AfD-, Pegida- und Querdenkerspektrum und die konservative bürgerliche Mitte. Artikel und Debatten über die verschiedensten Varianten von Verschwörungstheorien sowie die gezielte Pflege von Vorurteilen gegen Ausländer, Migranten und islamisch-religiöse Menschen gehören zum regelmäßigen Inhalt.

Ken Jebsen, ehemaliger Waldorfschüler und laut eigener Aussage linksliberal sozialisiert, hat sich im Laufe der Jahre immer weiter nach rechts bewegt. Geschickt verstand er es, auf der Klaviatur der Meinungsfreiheit zu spielen, und ließ gerne „unangepasste“ und „unbequeme“ Meinungsträger in seinen Interviews zu Wort kommen. Nach und nach hat er immer stärker an rechtes Gedankengut angedockt, insbesondere seit der Coronakrise. Deshalb entschied Youtube vor einiger Zeit, dass er diese Plattform nicht mehr nutzen dürfe.

Ein weiterer Brückenbauer in die rechte Szene ist der Kopp-Verlag. Er vertreibt eine krude Mischung aus esoterischer, verschwörungstheoretischer und rechter Literatur. Seit einiger Zeit bietet er auch Produkte aus dem Wellness-Bereich an und versorgt die Prepper-Szene mit Security-Stiefeln, US-Feldhosen, US-Militärrucksäcken und diversen Langzeitlebensmitteln. Man findet im Webshop übrigens anthroposophische, aber auch anti-anthro­posophische Literatur. Ob Jochen Kopp aus rein unternehmerischen Gründen so handelt oder aus Überzeugung, sei dahin gestellt. Jedenfalls hat er mit seinem Verlag ein metapolitisches Feld geschaffen, in dem harmlose neben originär rechten Büchern friedlich koexistieren.

Das Problem des Dialogs mit Rechts

Diese Beispiele geben einen ersten oberflächlichen Eindruck, wie Metapolitik funktioniert. In jüngerer Zeit sind vor allem in den sozialen Medien die Aktivitäten angestiegen, was an dieser Stelle aber nicht weiter betrachtet werden kann.

Die Frage, die sich jeder ernsthaft an der Verbesserung von Mensch und Welt Arbeitende stellen sollte, ist doch: Warum sollte ich rechtes Gedankengut in meinem Umfeld tolerieren? Wenn es um das Streben nach einer besseren Welt und einer besseren Version unseres Selbstes geht, dann will mir nicht einleuchten, dass völkische und nationalistische Weltsichten, wie sie oben beschrieben wurden, darin integrierbar sein sollen.

Für Rechte ist jeder öffentliche Dialog mit Nicht-Rechten ein Gewinn, weil er ihre Reichweite vergrößert. Demokraten geraten dadurch in eine Zwickmühle. Reden sie mit Rechten, legitimieren sie sie ein Stück weit und vergrößern so möglicherweise deren Reichweite. Reden sie nicht mit ihnen, setzen sie sich in Widerspruch zu ihren Freiheits- und Toleranzprinzipien und geben ihnen möglicherweise Gelegenheit, sich als Märtyrer zu präsentieren. Hier einen guten Umgang zu finden, ist eine Art von sozialem Übungsweg.

Dabei kommt es nicht darauf an, permanent auf Abgrenzung aus zu sein. Aber zu registrieren, dass da etwas sozial sehr Schädliches existiert, von dem man durch einen Abgrund getrennt ist, halte ich heutzutage für unabdingbar.

Dialogversuche in der jüngeren Vergangenheit

Es hat in der Vergangenheit Versuche gegeben, einen Dialog mit Rechten zu führen. Sie sind für uns heute sehr lehrreich. Ich möchte hier zunächst erinnern an die einige Jahre währende Freundschaft zwischen Dr. Karl König, dem bekannten anthroposophischen Heilpädagogen und Kinderarzt, und Prof. Dr. med. Werner Catel, der – ebenfalls Kinderarzt – in der Nazizeit die Tötung „lebensunwerten Lebens“ organisierte. Einen Dialog über das Thema „Lebensunwertes Leben” hat es zwischen den beiden nicht gegeben, da Werner Catel seine Machenschaften in der Nazizeit wohlweislich verschwiegen hatte. Als dies Anfang der 1960er-Jahre bekannt wurde, zerbrach die in einem warmherzigen Briefwechsel 1957 – 1962 dokumentierte Freundschaft. Zu groß war der Abgrund, der sich offenbart hatte. Er war nicht mehr zu überspringen [vgl. den ergreifenden Vortrag von Peter Selg „Der Einbruch des Bösen” auf Youtube].

Ich möchte erinnern an den Briefwechsel zwischen Armin Nassehi und Götz Kubitschek 2014 [https://krautreporter.de/1284-wiewohl-ich-skeptisch-bin-will-ich-wenigstens-in-dieser-weise-offen-sein], der um die Frage kreiste, was als „das Eigene“ angesehen werden muss, das Individuelle oder die ethnisch-kulturelle Identität. Die beiden beendeten ihren Gedankenaustausch, weil sie sich gegenseitig nicht überzeugen konnten. Es ist eben keine intellektuelle, sondern eine ethische oder normative Frage, wie man sich hier positioniert. Sozusagen eine „Ur-Intuition“ des sozialen Lebens. Auch hier wieder ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen den beiden Gesprächspartnern.

Ein weiterer Dialogversuch war der E-Mailwechsel zwischen dem linken Politologen Claus Leggewie und Götz Kubitschek 2016 [Teil I: https://sezession.de/56949/briefwechsel-zwischen-claus-leggewie-und-gotz-kubitschek-teil-i, Teil II: https://sezession.de/56950/briefwechsel-zwischen-claus-leggewie-und-gotz-kubitschek-teil-ii] , als die Flüchtlingsdebatte und die PEGIDA-Demonstrationen das Land beschäftigten. Die Ausgangsfrage von Claus Leggewie war, inwieweit ein rechtsintellektueller Aufruf zum „Widerstand“, wie Götz Kubitschek dies in dieser Zeit wiederholt gemacht hatte und was Leggewie als Verschärfung der Gangart erlebte, zu einer Radikalisierung der PEGIDA-Bewegung beitragen würde. Die beiden fanden zu keinem Zeitpunkt einen gemeinsamen Debattenboden, zu gegensätzlich waren die Einschätzungen zur Flüchtlingspolitik. Am Ende stand die Vermutung bei Götz Kubitschek im Raum, dass Claus Leggewie nicht an einem echten Gespräch interessiert gewesen sei, sondern lediglich Material für sein neues Buch „Anti-Europäer“ gesucht habe.

„Multikulti trifft Nationalismus”. Nana Domena und Frank Kraemer im lockeren Gespräch

Ebenfalls in dieser Zeit kam es zu einer Begegnung zwischen Nana Domena und Frank Kraemer. Sie hatten sich auf einer PEGIDA-Demonstration nach der berüchtigten „Sylvesternacht“ in Köln getroffen, Frank Kraemer als Teilnehmer der PEGIDA-Demo und Nana Domena auf der Seite der Gegendemonstranen. Nana Domena ist ein Lifestyle-Videoblogger mit ghanaischen Wurzeln, der mit Promi-Interviews und Lifestyle-Themen in der Influencer-Szene unterwegs war und ist. In dieser Situation fing er plötzlich an, die PEGIDA-Demonstranten zu interviewen. Er hat dann in der Folge von 2016 bis 2020 unter der Überschrift „Multikulti trifft Nationalist“ regelmäßig Videointerviews mit Frank Kraemer erstellt. Es war und ist ihm ein Anliegen, die nationalistische Position zu verstehen. Allerdings fehlt bei ihm vollständig die abgrenzende Geste. So wird der Dialog zum Monolog Kraemers.

Nana Domena ist übrigens derjenige, der bei vielen Querdenken-Demos für den Unterhaltungspart zwischen den Redebeiträgen zuständig war. Als gut gelaunter Animateur sorgte er für entsprechende Stimmung bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern („Ich sag Frieden - Ihr sagt Freiheit!”).

Frank Kraemer ist seit 1995 Mitglied verschiedener Rechtsrock-Bands, insbesondere der Band „Stahlgewitter“, betreibt eine eigene Website [https://www.derdritteblickwinkel.com/], den Youtube-Kanal „Der dritte Blickwinkel“ und den Sonnenkreuz-Versandhandel, wo man rechte Literatur, T-Shirts mit den passenden Slogans und auch diverse Nahrungsergänzungsmittel bestellen kann. Er setzt sich für das jährlich stattfindende Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“ ein, das 2019 und 2020 allerdings verboten wurde. Als Redner trat Kraemer mehrfach bei der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ auf. Er ist also ein Neonazi reinsten Wassers, fest überzeugt und militant. Für ihn war die Begegnung mit Nana Domena sehr wichtig, wie er hier schreibt:

Meinen Blog „Der dritte Blickwinkel” habe ich ursprünglich 2010 als WordPress-Blog begonnen. Zu dieser Zeit und bis Oktober 2016 habe ich diesen Blog nur sporadisch und nebenbei betrieben. Dementsprechend wenig Artikel finden sich in dem Zeitraum. Erst ab Oktober 2016 habe ich meinen Blog zum sogenannten Vlog umgestaltet. Die Reichweite von Videos ist nun mal um ein vielfaches Höher als geschriebene Texte. Auslöser, mich vor die Kamera zu setzen, war eigentlich mein Projekt mit Nana Domena namens „Multikulti trifft Nationalismus”. In Kontakt kamen wir [2016] auf einer Pegida Demo in Köln. (...) Mit diesen Videos haben wir eine recht hohe Reichweite, weswegen für mich der Schritt zu einem eigenen Videoprojekt nicht sehr groß war. (...) Ohne Nana und unser Projekt hätte ich nie „Der dritte Blickwinkel” als Videoblog weitergeführt. (...) Nationalismus bedeutet nicht Hass auf Fremde. Die drei Säulen meiner Welt­anschauung fußen auf:

- Liebe zum Eigenen

- Respekt vor dem Fremden, wenn er diesen erwidert

- gnadenlose Härte gegen alle inneren und äußeren Feinde“

[https://www.derdritteblickwinkel.com/geist-materie/im-gespraech-mit-der-iii-weg]

Wenn man sich die Videos anschaut, erlebt man, wie Nana Domena sich zum Stichwortgeber für Frank Kraemer macht, der hier die Möglichkeit erhielt, seine Inhalte vor einem größeren Publikum zu präsentieren und dadurch auch den Umgang mit diesem Medium zu üben. Er hat in diesen vier Jahren gelernt, seine extremistischen Ansichten in einer lockeren und volksnahen Sprache zu präsentieren. Nana Domena kann dem nichts entgegensetzen.

Offensichtlich merkt er nicht einmal, mit wem er da redet. Ein Zuschauer-Kommentar, der hier symptomatisch angeführt wird, zeigt, was das Ergebnis ist:

Tolles interessantes Format! Und irgendwie ist der Frank ganz weit weg vom dummen Rechten!!! Sehr sympathisch der Mann!!!“

Kürzlich [https://www.youtube.com/watch?v=mE9MtNg-mjU] hat Nana Domena sich ein Stück weit von dieser Videoreihe distanziert. Er habe sie gemacht, um höhere Follower-Zahlen zu bekommen, und es sei auch ein Stück Naivität im Spiel gewesen. Er sei kein Nazi, ihm gehe es nur um „Love“ und „Power“, das sei seine Botschaft, und das sei sie immer gewesen.

Schön, dass er diesen Lernschritt jetzt machen konnte. Aber dass er den Rechten jahrelang eine Plattform gegeben hat und seine Follower dadurch eventuell in falsche Richtungen geleitet wurden, dafür übernimmt er nicht die Verantwortung!

 

 

 

Anthroposophie und rechtes Gedankengut

Man sollte im anthroposophsichen Umfeld zur Kenntnis nehmen, dass die rechte Szene mittlerweile sehr schillernd und fragmentiert auftritt. Eine verwirrende Vielfalt an Zeitschriften, Blogs, Instagram- und Telegram-Kanälen verpackt die rechten Inhalte um und macht sie so für die bürgerliche Mitte sowie für junge Menschen verdaulich. Für diese gibt es Lifestyle-Tipps bis hin zu Lebensberatung, harmlos wirkende Initiativen gegen Rundfunkgebühren, gegen islamische Überfremdung und aktuell vor allem gegen die Coronamaßnahmen. Das rechte Gedankengut erhält so immer neue Plattformen und wird zunehmend salonfähig.

In der Anthroposophenschaft hat es immer einzelne gegeben, die sich eindeutig auf der rechtsextremen Seite befinden. Erinnert sei hier an Werner-Georg Haverbeck, der 1929 in den NS-Studentenbund eintrat und Zeit seines Lebens ein bekennender Nationalsozialist geblieben ist. Mit seinem Buch „Rudolf Steiner – Anwalt für Deutschland“ deutete er aus „anthroposophischer” Perspektive den Zweiten Weltkrieg um als Krieg des Westens gegen Mitteleuropa und gab damit dem Narrativ aller Rechten, dass Deutschland eigentlich einen Verteidigungskrieg geführt habe, die „spirituellen Weihen”.

Immer wieder wird von wohlmeinenden Freunden das Buch „Brüder des Schattens“ von Heinz Pfeifer empfohlen. Aus lauter Halbwahrheiten, Gerüchten und Vermutungen mit einem kaum belastbaren Faktenanteil bastelte sich der Autor ein krudes Weltbild zusammen, in dem der vom Westen gesteuerte „Kampf gegen Mitteleuropa” bis in die Zeit der 1980er-Jahre weiterverfolgt wurde (vgl. die Kritik in Christoph Lindenberg, „Auch ein Bruder des Schattens“, in DieDrei 10/1982, S. 716).

Die Zeitschrift „Der Europäer“, herausgegeben von Thomas Meyer, verbreitet solche Verschwörungsnarrative ebenfalls. Lange Artikel über Carol Quigleys und Anthony Suttons Publikationen, die unter Historikern sehr umstritten sind, sowie Mutmaßungen über die Bilderberger, die „Neue Weltordnung“, 9/11 und ähnliche Themen sind dort immer prominent vertreten worden. Gegenwärtig geht es, genau wie in vielen rechten Medien, um den „Great Reset“ und die „Coronadiktatur“.

2020 äußerte Thomas Meyer sich zustimmend über Torsten Schultes Rede auf einer Anti-Corona-Demonstration in Berlin. Torsten Schulte ist ein AfD-naher Historiker, der in seinem Buch „Fremdbestimmt“ geschichtsrevisionistische Thesen verbreitet, die ebenfalls Deutschland als Opfer von westlichen Machenschaften darstellen.

Und neuerdings arbeitet Thomas Meyer mit Catherine Austin Fitts zusammen. Sie ist eine reiche Investmentgeschäftsfrau und Trump-Anhängerin der ersten Stunde und – wie kann es anders sein – beinharte Corona-Leugnerin. Sie finanziert ihm jetzt eine „Spiritual Science Academy“ in den USA, wie man einer entsprechenden Pressemeldung entnehmen kann.

Auch Axel Burkart grast offenbar das rechte Umfeld ab. Er annonciert seit Kurzem seine Bücher im Compact-Magazin  Dort wird er als Anthroposophie-Kenner anerkennend in mehreren Artikeln zitiert (z.B. "Rudolf Steiner: Das systemkritische Potenzial seiner Ideen" und "Der erste Querdenker: Rudolf Steiner und die Corona-Krise" und "Rudolf Steiner und die Rassen – 10 umstrittene Zitate"). In einem Interview mit „Neue Horizonte TV“ über „Spirituelle Hintergründe der Weltpolitik“ spricht er von der „Umerziehung“ des deutschen Volkes nach dem Krieg, was der „anglo-amerikanischen Elite“ durch die „Staatsschulen“ gelungen sei. „Ohne freie Schulen werden wir immer Marionetten bleiben“, hebt er hervor und schließt damit an nationalistische Narrative an. Außerdem offenbart er hier ein äußerst schematisches und reduktionistisches Verständnis von sozialer Dreigliederung.

Martin Barkhoff, der sich seit vielen Jahren in der Waldorfausbildung in Peking engagiert, knüpft ebenfalls völlig selbstverständlich an dieses Narrativ an. Er spricht in einem in der Edition Antaios bei Götz Kubitschek veröffentlichten Briefwechsel mit Caroline Sommerfeld vom „geistigen Volkstod“ der Deutschen und fragt sich, ob und unter welchen Bedingungen es zu einer zukünftigen „Volksauferstehung“ in Form eines neuen „christlichen deutschen Reiches“ kommen könne.

Welchen Nutzen erwartet man sich von der Bezugnahme auf rechte Narrative?

Ich gebe zu, dass ein Unterschied zwischen harter völkischer Ideologie und solchen schwammig anthro­posophisch-christlich klingenden, eher schöngeistigen Reflexionen besteht. Es stellt sich aber die Frage, was man damit erreichen will. Vielleicht meinen die Autoren, irgendein Interesse für Anthroposophie wec­ken zu können? Glauben sie wirklich, im völkischen Umfeld Anhänger gewinnen zu können? Oder fühlen sie sich dieser Szene schon so stark verbunden, dass sie Missverständnisse und Anfeindungen auch aus dieser Szene in Kauf nehmen? Stellvertretend sei hier ein Kommentar eines nationalistischen Lesers zitiert:

Fast alles in diesem Briefwechsel lehne ich als intellektuelle Hirngespinste und grobe Verfälschungen der Geschichte, wie auch der Realität, ab. (...) Die Axiome des Briefwechsels (...) sind für mich grundfalsch. Wenn in dem Buch dem Christentum die entscheidende Rolle zugedacht ist, ist das zumindest realitätsfremd. Als Atheist sind für mich schon a priori christliche Gedankengänge absurd. (...) Wer auf so etwas baut, ist im vornherein zum Scheitern verurteilt.

Dann wäre da die Biologie (...). Dabei ist die Biologie die Grundlage aller menschlichen Existenz. Wenn eine Menschengruppe gleicher Abstammung es zu einer Hochkultur gebracht hat, ist diese Hochkultur abhängig von deren Trägern. Ändert sich die Zusammensetzung oder nimmt die Zahl unter die Schwelle der Reproduktion ab, schwindet auch die Leistungsfähigkeit der Hochkultur bis zu deren Niedergang. Alles Geistige ist abhängig von den biologischen Trägern. Losgelöst von den Trägern verliert sich der Geist im Nichts.

Die beiden Briefeschreiber wollen nicht (mehr) die biologische Substanz des Deutschen Volkes erhalten, sondern letztlich nur deren „Volksgeist“. Der soll in Einzelnen überleben und wundersamerweise dann nach dem „Volkstod“ zu einer Auferstehung – ohne die biologischen Träger – führen. Ernsthaft: Durch Einzelne in einem Meer der bei uns bald dominierenden 3. Welt? Auch dies ist zumindest realitätsfernes Wunschdenken, das aufzeigt, wie weit man sich geistig verirren kann, wenn man sich in religiöse Sphären flüchtet.“ [Damit meint er den anthroposophischen Hintergrund, der in den Briefen immer wieder durchschimmert, SP]

Man sieht, wes Geistesart diese Leute sind. Wie kann man nur glauben, diesen Abgrund zu überbrücken! Und selbst, wenn man es in diesem oder jenem Einzelfall vielleicht schafft: Was für Leute holt man sich da ins eigene Haus!

Diese Frage würde ich gerne auch Karen Swassjan stellen, der vor Kurzem einen Kommentar zu Russland und der Ukraine in der „Sezession“ veröffentlicht hat. Sein Text wäre an sich kein Problem, die Problematik besteht hier eindeutig in dem Ort der Veröffentlichung.

Republikanische Gesinnung

Ich habe den Eindruck, dass vielen Freundinnen und Freunden offensichtlich ein gehöriges Maß an Unterscheidungsvermögen fehlt sowie jedes Gefühl für den Abgrund, auf den man da zuschreitet – oder den man schon überschritten hat!

Ich wünsche mir, dass die Kultur des „freundschaftlichen Wegguckens” und „gutmütigen Tolerierens” solcher Entwicklungen in unseren Kreisen aufhört und die nötige Wachsamkeit einzieht. Anthroposophische Vokabeln sind keine Gewähr dafür, dass das damit Gemeinte auch im guten Sinne in die Gesellschaft wirkt.

Anthroposophie steht gegenwärtig sowieso verstärkt unter Beobachtung. In so einer Lage die Debatte mit rechten Kräften zu suchen, von denen man für die zukünftige Entwicklung der Anthroposophie und der sozialen Dreigliederung absolut nichts erwarten kann, macht mich ratlos.

Lange Jahre waren solche Phänomene eher Rand­erscheinungen in der anthroposophischen und Dreigliederungsszene. Schlimm genug, dass es sie überhaupt gab. Ich konstatiere aber vor allem seit der Coronakrise eine nicht zu ignorierende Zunahme solcher Ausflüge in rechtes Gelände.

Rechtes Gedankengut ist nicht einfach eine Theorie, die man ergänzen, erweitern oder verändern kann. Am Beispiel des Briefwechsels zwischen Götz Kubitschek und Armin Nassehi wurde paradigmatisch deutlich, dass es sich um eine Werteentscheidung handelt, welchen Weg man geht. Sie ist nicht auf der Gedankenebene, sondern auf der Willensebene angesiedelt.

Ein falsches Verständnis von Freiheit im Geistesleben verführt manche Freundinnen und Freunde dazu, dass man alle Meinungen tolerieren und mit ihnen in den Dialog kommen können müsse. Kritik wird geradezu als „unanständig“ und „unfreiheitlich“ empfunden. Genau das Gegenteil ist richtig. Wenn sie mit klaren nachvollziehbaren Argumenten erfolgt, ist sie dem Kritisierten eine Hilfe und ein Anstoß bei der eigenen Suche nach Wahrheit. Wenn sich in der Auseinandersetzung aber zeigt, dass inkompatible Wertefestlegungen im Hintergrund stehen, dann hilft eine solche argumentative Auseinandersetzung bei einer objektiven Abgrenzung. Wichtig ist, dasss eine solche Abgrenzung nicht auf der Basis von persönlicher Antipathie erfolgt. Das wäre sozial unproduktiv.

Das Institut für soziale Gegenwartsfragen (Stuttgart) grenzt sich entschieden von rechten Initiativen und rechtem Gedankengut ab. Versuche des Dialogs und der Zusammenarbeit mit erwiesenermaßen rechts orientierten Gruppen und Persönlichkeiten – auch in den (vermeintlich) eigenen Reihen – halten wir mit Blick auf die Geschichte des Dreigliederungsimpulses für bestenfalls unbedacht und schlimmstenfalls gefährlich. Uns ist der Preis zu hoch.

Der anthroposophischen Szene fehlt es meinem Eindruck nach duchgängig an so etwas wie „republikanischer Gesinnung“. Das ist nicht das gleiche wie das Arrangieren mit der Wirklichkeit, um die man ja sowieso nicht herumkommt. Es geht um eine Gesinnung, die sich mit den Grundwerten dieser Gesellschaft im Einklang weiß, auch wenn viele Einzelheiten in den verschiedenen Bereichen schief laufen und dringend reformiert werden müssen. Hier gilt das Diktum von Winston Chruchill: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – außer allen anderen, die man bis jetzt versucht hat“. Außerhalb demokratischer Staatsformen gibt es keine Möglichkeit, so etwas wie die Dreigliederung des sozialen Organismus auch nur ins Gespräch zu bringen. Das ständige Stellen der „Systemfrage“ spielt dagegen destruktiven Kräften von rechts bis links in die Hände.

Ich glaube nicht, dass soziale Dreigliederung heute noch – wenn sie es jemals war! – als Gesamtentwurf zu betrachten ist, den man einfach neben die existierende Gesellschaft stellen oder gar gegen sie ins Feld führen könnte. Es gilt vielmehr, das unbewusste, sehr wohl vorhandene Ringen in der Gesellschaft um die gleichzeitige Verwirklichung von Freiheit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit immer wieder neu zu stärken.