Zum Tode von Wilhelm Schmundt
Am 23. April ist Wilhelm Schmundt über die Schwelle gegangen. "Unseren großen Lehrer" hat ihn Joseph Beuys genannt, und viele Aktive aus der Dreigliederungsbewegung werden diese Aussagen von Beuys für sich unterschreiben. Andere, die in diesem oder jenem Punkt Schmundts Antworten nicht teilen konnten, werden doch seine Fragestellungen schätzen, und in ihrer übergroßen Mehrheit werden sie in ihm, der immer wieder forderte, die Dinge "ins Rechte zu denken", einen großen Anreger zum lebendigen Auffassen der Dreigliederung sehen.
Wilhelm Schmundt wurde am 10.1. 1898 in Metz/Lothringen geboren. Nach dem ersten 1. Weltkrieg studiert er Physik an der TH Berlin. 1910 stößt er als "Wandervogel" auf Steiners "Kernpunkte", zu denen er aber erst später, nach Kenntnisnahme der "Philosophie der Freiheit" und der "Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung" den vollen Zugang findet.
Er wird Direktor der Ostpreußischen Elektrizitätsversorgung in Königsberg. In dieser Funktion lernt er auch den ebenfalls in der Elektizitätswirtschaft tätigen großen Dreigliederer Hans Georg Schweppenhäuser kennen. Beide sind verbunden durch Freundschaft - aber alle Versuche, sich in der Sache zu verständigen (Assoziationsdebatte u.a.) scheitern bis zuletzt. "Es funkt in dieser Beziehung", so hat jemand das Verhältnis kommentiert.
Nach dem zweiten Weltkrieg holt Ernst Weißert Schmundt in die Schulbewegung, 1947 wird er Oberstufenlehrer an der Waldorfschule Hannover. Die Schüler lieben ihn, der sich selber durchaus nicht als den geborene Pädagogen sieht.
Er leistet bedeutende Beiträge zur Sozialwissenschaft ("Zeitgemäße Wirtschaftsgesetze", "Der soziale Organismus in seiner Freiheitsgestalt", um nur zwei Veröffentlichungen zu nennen). In ihnen versucht er, eine "goetheanistische Methodik" zu entwickeln, das sozialwissenschaftliche Denken bis zur selbstevidenten Axiomatik, zur urbildlichen Verdichtung zu führen. Auch zu einer goetheanistischen Physik leistet er wesentliche Beiträge
("Physikalische Miniaturen").
Seine Kurse machen ihn zum "Lehrer" im Sinne des Wortes von Beuys. Zu seiner Tätigkeit in der Dreigliederungsbewegung gehören auch die Achberger Begegnungen mit führenden Männern des Prager Frühlings wie Sik und Löbl. Tief verbunden weiß er sich mit der Anthroposophischen Gesellschaft und vor allem auch der Arbeit der sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum: In den Jahren der Hinfälligkeit und Krankheit versäumte er doch nie, sich brieflich für sein Fernbleiben bei den Sektionstagungen zu entschuldigen.
Eine der wichtigsten Möglichkeiten, W. Schmundts in angemessener Weise zu gedenken, wäre sicherlich die Weiterarbeit an den Forschungsfragen, mit denen er gerungen hat. Ob sich bei solcher Forschung vielleicht auch manche Positionen alter Kontroversen, an denen er beteiligt war, in höheren Synthesen aufheben lassen, wird sich dabei zeigen müssen.