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Multikulturelle Gesellschaft - Schlagwort oder Gestaltungsaufgabe?

Wie können aus dem Dreigliederungsgedanken Lösungsansätze für das Einwanderungs- und Asylproblem entwickelt werden? Dies war die leitende Fragestellung eines Treffens der Initiative "Netzwerk Dreigliederung" am 29. März 1992 in Vaihingen/Enz. Das Treffen fand unmittelbar vor dem "politischen Erdbeben" der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg statt, bei dem das Thema "Asyl" eine große Rolle beim Zugewinn rechtsradikaler Gruppierungen spielte. Referate - denen sich jeweils eine intensive Aussprache anschloß - hielten C. Strawe ("Multikulturelle Gesellschaft" - Schlagwort oder Gestaltungsaufgabe?, Gerald Häfner (Emigration und Asyl als Rechtsfrage) und Magda Maier (Praktische Ansätze: Waldorfpädagogik im Ausländerviertel). Der folgendeBeitrag versucht, einige wesentliche Aspekte des Besprochenen in verdichteter Form aufzugreifen.

Neue Völkerwanderung?

Weltweit gab es 1990 15 Mio. Flüchtlinge, davon 1 Mio. aus den ehemals staatssozialistischen Ländern – was diese Länder angeht, scheint dies erst der allererste Anfang. In der BRD wurden 1990 ca. 200.000 Asylbewerber gezählt, hinzu kamen ca. 300.000 sog. "deutschstämmige" Aussiedler. Die Anerkennungsrate bei den Asylbewerbern ist relativ niedrig, ein größerer Teil der Einwanderer erhält jedoch Aufenthaltsrecht aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Tendenz bei der Einwanderung ist steigend. Es gibt eine Debatte um Veränderungsbedarf in Bezug auf Art. 16 GG. Man hat sich – im Oktober 91 – auf die Verkürzung der Asylverfahren geeinigt, es ist aber nicht zu sehen, mit welchem Personal diese Beschleunigung (der Bundestag hat am 5.6. das entsprechende Gesetz verabschiedet) geleistet werden soll, Hinzu kommt, daß das Bundesverwaltungsgericht das jetzt im
Ausländergesetz enthaltene Beförderungsverbot für visumpflichtige Ausländer, die ohne Paß und Visum auf dem Luft- oder Seeweg einreisen, für verfassungswidrig hält und zwei entsprechende Verfahren beim Bundesverfassungsgericht angestrengt hat. Haben diese Verfahren Erfolg, wird die Zahl der Asylanträge noch einmal drastisch steigen.

Politisch interessierte Kreise schüren mit Demagogie die Ängste der Bevölkerung. So heißt es in einem Flugblatt der Republikaner zum  Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg, Asylmißbrauch bedrohe den inneren Frieden und fördere die Kriminalität. Es drohe noch größere Wohnungsnot und Ghettobildung, grenzenlose Rauschgiftkriminalität, steigende Soziallasten, Steuern und Abgaben, die Deutschen würden im Laufe der Zeit zur Minderheit im eigenen Land.

Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?

In einem Spiegel-Interview vom 26.8. 91 ("Das Boot ist zu leer") hat der Frankfurter Stadtrat Daniel Cohn-Bendit einleuchtende Vorschläge zur Lösung des Problems unterbreitet: Deutschland sei faktisch ein Einwanderungsland. Es sei eine Tatsache, daß in den Städten ein Arbeitskräftebedarf herrsche, der durch deutsche Arbeitskräfte nicht gedeckt werden könne – z.B. im Pflegebereich. Daher sei ein Einwanderungsgesetz erforderlich. "Die Bundesrepublik, am besten ganz Europa, müßte sich zur Einwanderungsregion erklären. Eine Einwanderungsbehörde bestimmt dann, welchen Bedarf es in der Bundesrepublik – oder in Europa – gibt. Die Zahl sollte zusammen mit den Arbeitsämtern festgelegt werden." [Daß die Lösungen in europäischer Perspektive gedacht werden müssen, ist einleuchtend. In Maastricht wurde bekanntlich vereinbart, bis Ende 93 zu einer Entscheidung
über eine einheitliche europäische Asylpolitik zu kommen.] Das Staatsangehörigkeitsrecht sei in der Richtung zu ändern, daß den hier Geborenen oder denen, die mehr als 5 Jahre bei uns leben, alle Bürgerrechte garantiert werden. "Wenn es echte Einwanderer gibt, dann gibt es weniger falsche Asylbewerber." In diesem Fall sei er, Cohn-Bendit bereit, auch über eine Grundgesetzänderung nachzudenken. Die politischen Flüchtlinge dürften
natürlich keineswegs durch Quoten kontingentiert werden. (Das Asylrecht ist schließlich auch in internationalen Menschenrechtskonventionen verankert – z.B. Art. 14 der Allgemeinen UNO-Erklärung der Menschenrechte von 1948 – und steht somit politisch nicht zur Disposition).
Cohn-Bendit schlägt vor, sozusagen aus dem Geistesleben heraus, eine unabhängige Institution aus unabhängigen Persönlichkeiten zu bilden, die - in Zusammenarbeit mit Amnesty international, der UN-Flüchtlingshilfe usw. - die Weltsituation beobachtet und Vorgaben für die staatlichen Behörden entwickelt (in welchen Ländern herrscht politische Verfolgung?).

Der existentielle Druck, die die Menschen zur Einwanderung treibt, ist in der Tat nicht durch Polizeigewalt zu bekämpfen. Die Alternative lautet, wenn man nicht ganz Europa mit einer neuen Mauer umgeben will: illegale Einwanderung, verbunden mit Barbarei und Chaos, oder eine sozial sinnvolle Regelung des Einwanderungsproblems.

Die Argumentation Cohn-Bendits, der hier nur als ein Vertreter dieser Position zitiert wird, wird besonders auch aus Kreisen der Wirtschaft gestützt. So hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IWF) errechnet, daß die 1,9 Mio. sozialversicherungspflichtigen ausländischen Mitbürger 1991 rund 9% des BPS (200 Md DM) erwirtschaftet haben und damit – auch im Hinblick auf die Finanzierung des Alterssicherung im Rahmen des Generationenvertrags eine nichtwegzudenkende Rolle spielen. (1)

Bei dem Vaihinger Treffen plädierte Gerald Häfner vehement für ein Einwanderungsgesetz, wobei er bei der Quotenregelung nicht nur wirtschaftlich-eigennützige Gesichtspunkte, sondern auch eine soziale Komponente (sozusagen einen internationalen Solidaritätsbeitrag) einbezogen wissen wollte. In den letzten Monaten hat der Gedanke eines Einwanderungsgesetzes im politischen Raum breitere Unterstützung gefunden, wobei sich allerdings die Grünen auf ihrer Bundesversammlung nicht dazu entschließen konnten, sich diesen Vorschlag zu eigen zu machen, sondern radikaler Öffnung den Vorzug gaben.

Einwanderung und Asyl – Aufforderung zur Entwicklung weltweiter Brüderlichkeit

Verbale Einigkeit darüber, daß das Einwanderungsproblem letztlich dort gelöst werden muß, wo es entsteht: in den Armuts-, Elends- und Unterdrückungsregionen dieser Erde, ist zumeist leicht herzustellen. Dort wären Verhältnisse zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen zu bleiben. Doch wie ist dies zu leisten, wenn schon die Appelle zum Teilen innerhalb der BRD schwer verstanden werden? Gegenwärtig verschlimmert sich die Situation: Die Armen werden ärmer. Und die Drittweltsituation reproduziert sich in Europa ("Armenhaus Rumänien" usw). Notwendig wäre die Überwindung von ideologischen Scheuklappen: Es gilt, sich nüchtern und realistisch einzugestehen, daß die als Allheilmittel für den Osten gepriesene Marktwirtschaft, dort nicht nach Lehrbuch funktioniert, sondern im Augenblick in ihrer Vereinseitigung lateinamerikanische wirtschaftliche Zustände produziert. Jetzt rächt sich die selbstgerechte Pose der "Sieger" im Systemwettstreit, die geglaubt haben, mit der Beerdigung des Staatssozialismus auch die Frage der Entwicklung solidarischer Wirtschaftsformen beerdigen zu können. Mit der Schaffung einer Binnenmarkt-"Festung Europa" wird das Problem jedenfalls nicht gelöst werden können.

Beim Treffen der Initiative "Netzwerk" wurde auf praktische Beispiele sozial-ökologisch sinnvoller Hilfe zur Selbsthilfe, zur Schaffung von Eigenkreisläufen verwiesen. Für die Förderung solcher Beispiele von Entwicklungshilfe aus individueller Verantwortung würden hierfür zur Verfügung stehende Mittel der Staaten sicherlich sinnvoller verwendet als für Projekte, die am Bedarf vorler Entwicklung bekämpfen also ein Zerrbild, nicht die
Sache selbst. (2) Von der Unterstützung solcher kleinen Ansätze bis hin zur Umgestaltung des Welthandels und der Geldordnung im Großen reicht der Handlungsbedarf. Die Zeit wird knapp.

Die Erwartungen des Ostens, die Hoffnung der Asylanten, mit mehr oder weniger offenen Armen empfangen zu werden, sind Hoffnungen auf eine Brüderlichkeit, für deren Entwicklung gerade Mitteleuropa mitverantwortlich wäre.

Einwanderungsproblem und Bewußtseinsentwicklung

Die ganze Menschheit steht heute in einer Situation des Schwellenübergangs. Sie macht damit unbewußt etwas durch, was auf dem Schulungsweg bewußt durchgemacht wird. Rudolf Steiner schildert in "Wie erlangt man...", daß auf diesem Weg nicht nur die Trennung der Seelenkräfte bewältigt werden muß, die vorher wie von selbst miteinander harmonierten. Es tritt auch ein Zustand ein, der als "Heimatlosigkeit" charakterisiert wird: Die "Volksgeister" ziehen ihre Hand von dem Menschen ab, was ihn früher aus Impulsen unbewußten Verwobenseins mit seiner nationalen Kultur umfing und trug, geht verloren. Die Beziehung zur eigenen Kultur herzustellen (kulturelle Identität) wird damit zu einer Aufgabe, die nur noch im Kontext individueller Identitätsgewinnung bewältigt werden kann. "Heimatlosigkeit" ist heute Zeitschicksal im buchstäblichen und im übertragenen Sinne,
und dieses Schicksal hängt mit Aufgabe der Ich-Ergreifung in der Bewußtseinsseele zusammen. Die Losung "Wir sind alle Ausländer..." gewinnt durch diese Überlegung einen ganz eigenen zusätzlichen Klang. Wir haben es deshalb auch nicht mit einer "Völkerwanderung" im alten Sinne zu tun, sondern mit einem neuen Phänomen. Einerseits individualisieren sich die Menschen, andererseits entsteht wie nie ein menschheitlicher Zusammenhang – der Züridütsch sprechende Chinese und der schwäbelnde Kurde machen diese Verschmelzung mehr von außen anschaulich. (Daß sich unter diesen Bedingungen das Wirken der "Volksgeister" ganz anders gestalten muß als in der Vergangenheit, sei immerhin angemerkt, auch wenn die Frage hier nicht vertieft werden kann.)

Das "Gespenst" der Multikulturellen Gesellschaft

Ein Schlagwort macht die Runde, die "multikulturelle Gesellschaft". Die rechten Radikalen malen den Untergang des Abendlandes an die Wand, warnen vor kulturellem Identitätsverlust der Deutschen (als ob so etwas wie eine blühende deutsch-mitteleuropäische Kultur derzeit überhaupt existent sei), vor der "Islamisierung Europas" usw. usw.

Teile der grün-alternativen Bewegung, der Sozialdemokratie und der Kirchen verwenden das Wort als Gegen-
begriff zu Ausländerfeindlichkeit und eskalierendem Neonazismus. Auch CDU-Politiker stimmen ein, wie Heiner Geißler, der die multikulturelle Gesellschaft als Chance für Deutschland als ein Land in der Mitte Europas bezeichnete. [Wie gelebte mitteleuropäische Multikultur aussehen kann, das demonstrierte in überaus beeindruckender Weise bei dem Vaihinger Treffen die Stuttgarter Waldorflehrerin Magda Maier: Sie berichtet über die jahrelange Arbeit mit Ausländerkindern bei der Hausaufgabenbetreuung.]

In der Tat: die wahre Mission der Deutschen, im Gegensatz zu ihrem chauvinistischen Zerrbild, hat etwas mit der Völkerverständigung als einem "Dialog mannigfacher Geisterreiche" (Günther Nenning) zu tun. Die gegenwärtige Diskussion krankt allerdings am Mangel eines die Dimension des indivduell Geistigen wirklich einbeziehenden Kulturbegriffs, deshalb bleibt das Multikulturelle oft so schlagworthaft. So haben es reaktionäre Kräfte leicht, den Begriff der Kultur mit antiquierten Kollektivbegriffen des "Völkischen", Staatlichen usw. für sich zu reklamieren. "Multikulturelle Gesellschaft" heißt mehr als die Koexistenz von Pizzeria, China-Restaurant und lateinamerikanischer Folklore in der Fußgängerzone (sowenig man dies alles missen möchte).

Multikulturelle Gesellschaft = Freies Geistesleben

Der legitime Begriff der multikulturellen Gesellschaft ist ein Begriff der Moderne: der Inbegriff einer pluralistischen, auf der Mündigkeit des einzelnen basierten Kultur, die multikulturellen Charakter im Sinne der Gleichberechtigung aller individuellen geistigen Impulse hat. Das Thema der multikulturellen Gesellschaft ist kein Thema nur ethnischer Minderheiten, es ist das Thema der Gestaltung der kulturellen Umfelds durch den einzelnen. So betrachtet handelt es sich um die Frage nach der Befreiung des Geisteslebens in einem dreigegliederten sozialen Organismus, nach einer Einrichtung des Gesellschaft in Übereinstimmung mit jenen allgemeinen Menschenrechten, auf die wir uns heute alle berufen und in
denen sich die Umkehrung des Verhältnisses der einzelnen menschlichen Persönlichkeit zur Gemeinschaft, die Lösung aus den Kollektivbanden widerspiegelt.

Die alten Kulturen sind verbraucht (3), uniforme Massenkultur (Zivilisation) ist an ihre Stelle getreten. Neue Kultur, Multikultur, kann nur durch die Kreativität der einzelnen entstehen. Ethnische Kultur ist heute kein Selbstzweck mehr, ihre Bewahrung hat den Mutterboden von individueller Entwicklung zu schützen, sonst nichts.

Gleichwohl bietet ein so verstandenes Konzept von Multikulturalität den Schlüssel zur Lösung auch der ethnischen Probleme: im Zusammenleben der Völker insgesamt, in Regionen nationaler Durchmischung, im Umgang mit ethnischen Minderheiten, darunter besonders auch mit Einwanderern, Asylanten usw. Man befreie den einzelnen, so befreit man auch die Völker (R. Steiner) und die ethnischen Gruppierungen. Wo jede ethnische Minderheit ihre Kultur entwickeln kann, nicht im Sinne rückwärtsgewandter Brauchtumspflege, sondern im Sinne des Rechts eigene Schulen, eigene religiöse Einrichtungen usw. zu schaffen, da entstehen die Bedingungen eines friedlichen Miteinanders verschiedener ethnischer Gruppen auf einem Territorium - auf der Basis des Grundkonsensus "Menschenrechte". In diesem Rahmen wäre dann auch eine gewisse Rechtsautonomie ethnischer Gruppen denkbar, Rechtsräume, die Volksindividualitäten die Ausbildung eigener Rechtsordnungen ermöglichen (Personalverbandsprinzip statt Territorialverbandsprinzip). "Multikulturelle Gesellschaft" ist nicht die Koexistenz der ethnischen Kollektive. Der legitime Begriff der multikulturellen Gesellschaft kann sinnvollerweise nicht die Gleichberechtigung von alter, kollektiver kultureller Identität und neuer Kultur meinen. Nur die Menschenrechte können heute den Rahmen des Inter- und Multikulturellen bilden können. Intolerante religiöse Fundamentalismen, die sich außerhalb dieses Grundkonsensus stellen, können sich daher nicht auf die multikulturelle Gesellschaft berufen. Viele Gegner multikultureller Entwicklung bekämpfen also ein Zerrbild, nicht die Sache selbst.

Daß ein solches Zerrbild Realität zu werden droht, wenn nicht individuelle Freiheit, sondern kollektive Identitäten in den Vordergrund gestellt werden, davon zeugen gegenwärtige "Kultur-Kämpfe" um - im Sinne der jeweiligen ethnischen oder sonstigen Gruppe "korrekte" Lehrinhalte und Lehrbücher an amerikanischen Universitäten.

Zurecht überschreibt der "Spiegel" einen Artikel über dieses Phänomen mit "Inquisition und Zensur" (4). Wer heute der Nation den Vorrang vor dem einzelnen einräumen will, wird gerade nicht mit seinem wahren Volksgeist im Bunde sein können, sondern dessen Doppelgänger verfallen müssen: Das Zerstörungspotential der Nationalismen heute legt davon Zeugnis ab.

Konfusion der Begriffe

Selbst um eine gewisse Differenziertheit bemühte Autoren wie Ministerialdirektor Eckart Schiffer aus dem Bundesinnenministerium tun sich schwer, den Kreislauf falscher Alternativen zu verlassen (5), weil sie den Begriff des Multikulturellen zu vordergründig denken. Schiffer wehrt sich mit sachlich nicht treffenden Argumenten gegen die Gewährung der Staatsbürgerschaft für die ausländischen Mitbürger. Seine unhistorische Gleichsetzung von Kultur- und Staatsnation (geprägt durch Staatsgebiet, Staatsgewalt, Staatsvolk) verquickt die Frage nach dem administrativen und dem kulturellen
System, konfundiert Geistes- und Rechtsfragen. Da er die Konstitution kultureller Identität allein im Geistesleben nicht denken kann, erscheint ihm die Definition eines Staates durch sein Territorium und die Gebietsbevölkerung unzureichend. Es genügt ihm nicht, den Staat als Rechtsgemeinschaft zu verstehen ("Verfassungspatriotismus"), da er hierin offenbar eine Bedrohung für die Nation als "Wertegemeinschaft" sieht. Er muß sich in einseitigen Definitionen verfangen, weil er "Nation" nicht geistrealistich denken kann (R. Steiner: "Ein Volk ist eine zusammengehörige Gruppe von Menschen, die von einem der Archangeloi, einem der Erzengel, geleitet wird" (6).

Integration und Multikultur erscheinen ihm als feindlicher Gegensatz, er kämpft gegen "Insertion", worunter er völlige Gleichberechtigung der Kulturen versteht. (Fairerweise muß gesagt werden, daß Schiffer auch eine "Assimilation" der ausländischen Mitbürger ablehnt.) Er plädiert dagegen für eine "Integration", die wie es in der Begründung des neuen Ausländerrechts heißt, "im Rahmen der ethisch-moralischen, rechtlichen und kulturellen Wertvorstellungen der Bundesrepublik Deutschland einen Freiraum für die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität lassen." Das Ausländergesetz sei daher als Entscheidung gegen multikulturelle Gesellschaft zu verstehen. Die Pointe wird nicht bemerkt: Der Rekurs auf kollektiv verpflichtende moralisch-ethische Wertvorstellungen der Bundesrepublik ist eine Spitze gegen das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung, Weltanschaungs-
und Gewissensfreiheit, die das Grundgesetz derselben Bundesrepublik bindend vorsieht, ein Widerspruch, der nicht einmal bemerkt wird.

Fazit: Das Projekt "multikulturelle Gesellschaft" bleibt ohne spirituell erweiterten Begriff der Kultur und der ethnischen Gemeinschaft Schlagworten verhaftet. Konstruktiver Lösungsansatz wird dieses Konzept in dem Maße werden können, als es von einem Verständnis der Dreigliedrigkeit des sozialen Organismus getragen wird.

Fußnoten

1 BTX-Meldung vom 3.6.92.

2 Vgl. hierzu den als Beilage zum Bankspiegel Dez. 1991 veröffentlichten Entwicklungshilfe-Brief der Gemeinnützigen Treuhandstelle Bochum e.V. (Beiträge u.a. zur Dorfentwicklung in Ghana, Alternativen zur Brandrodung, Indianerhilfe in Westbrasilien, eine Basis-Genossenschaft von Kleinbauern und ein Molkereiprojekt in Brasilien).

3 Multikultur bedeutet gewiß auch Begegnung mit religiösen und esoterischen Traditionen etwa des Ostens. Dabei ginge es aber gerade darum, im Rahmen einer solchen "Inkulturation" diese Traditionen aus europäischer, überkonfessionell, ja suprareligiös christlicher Perspektive neu zu verstehen, nicht um schlichtes Nebeneinander. (Vgl. Cornelia Vogelsanger: Wie Bodhidharma in den Westen kam. Zur Inkulturation des Buddhismus. Neue Züricher Zeitung, 13.9. 1991. Auf diesen Artikel bezieht sich auch J.M. Ginther in seiner Einleitung zu einer Zusammenstellung einschlägiger Zeitschriftenartikel (darunter auch der hier zitierten) im Sammatzer Pressespiegel "Zeitgeschen" Nr. 13.)

4 "Der Spiegel", 20.5.91.

5 "Ein Modebegriff geht um in Europa: die multikulturelle Gesellschaft". Zur Staatssituation, zum Staatsvolk und zu den Ausländern aus der Sicht des Bundesinnenministeriums. Frankfurter Rundschau, 15.8.1991.

6 R. Steiner: Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie (1910), Dornach 1962, GA 121.