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Stichwort "Selbstverwaltung"

Freiheit und Selbstverwaltung im Kulturleben – Gestaltungsfragen von Einrichtungen in freier Trägerschaft

Die Befreiung des Geisteslebens - Symptomatisches - Initiative und Selbstverwaltung - Formen der Selbstverwaltung - ökologische Aspekte (S. 3)Die Finanzierung des Geisteslebens - Chancen der Befreiung des Geisteslebens (S. 7)Beispiele der Selbstverwaltungspraxis: Universität Witten-Herdecke, Troxler-Haus Wuppertal, Waldorfschule Basel, Marie-Steiner-Akademie Hamburg, TAZ Berlin (S. 10)Forum Kreuzberg (K.H. Finke) (S.14)Literatur zur Selbstverwaltung (S. 16)

Im Anschluß an eine Arbeitswoche über "Freiheit und Selbstverwaltung im Kulturleben - Gestaltungsfragen von Einrichtungen in freier'Trägerschaft"

Das Thema "Selbstverwaltung" ist für eine moderne Sozialverfassung zentral. Mit der richtig verstandenen Selbstverwaltung erfaßt man den organbildenden Kern der sozialen Dreigliederung überhaupt. Während einer Arbeitswoche im Goetheanum in Dornach befaßten sich im Rahmen der Fortbildungsreihe "Individualität und soziale Verantwortung" vom 12. - 18. Januar dJ. knapp 150 Teilnehmer mit diesem Thema.

Im folgenden soll versucht werden, einige Grundmotive der Selbstverwaltung zu behandeln, darunter solche, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielen. Dies soll in relativ freiem Anschluß an die Vorträge, Arbeitsgruppen, Plenen und Foren dieser Arbeitswoche geschehen. Es handelt sich also nicht um einen vollständigen Bericht von dieser außerordentlich intensiven Tagung und den dort gehaltenen Vorträgen. Bei den einzelnen Themen werden die gehaltenen Referate nur zum Ausgangspunkt einer Problemskizze genommen, bei der auch Gesichtspunkte aus dem Gespräch eingeflossen sind. Dabei mußte ich aus Platzgründen manchen Aspekt auslassen, vieles raffen und in eigene Worte kleiden. Dadurch entstandene Verkürzungen der Argumentation einzelner Referenten sind allein dem Autor anzulasten. Der Lesbarkeit halber habe ich auch auf Literaturhinweise im Text in der Regel verzichtet und nur am Ende eine allgemeine Literaturliste zum Thema angefügt.

Daß die Frage nach der "Selbstverwaltung" nicht nur eine Frage für Einrichtungen des Kulturlebens darstellt, ist selbstverständlich, auch wenn bei dieser Tagung der Schwerpunkt auf der Betrachtung dieses Bereichs lag.

Die Befreiung des Geisteslebens als Wendepunkt sozialer Entwicklung

Im Vortrag behandelte Manfred Schmidt-Brabant dieses Thema.

Warum ist die Therapie der Dreigliederung des sozialen Organismus in den Umbrüchen unseres Jahrhunderts bisher so wenig angeschlagen:? Warum behalten die freiheitsfeindlichen Nationalismen, Fundamentalismen und Rassismen eine so furchtbare Macht? Liegt es am Ende gar an der Problematik des zu befreienden Geisteslebens selbst, daß diese Befreiung so langsam vorankommt? Nach wie vor hemmen platonisch-ständestaatliche Fehldeutungen (der "Geistesarbeiter", der auf den Handarbeiter herabblickt usw.) das Dreigliederungsverständnis. Der uralten Neigung zum ständestaatlichen Denken ist der funktionelle Begriff der sozialen Dreigliederung entgegenzusetzen, in dem jeder Mensch konstitutionell als Teilhaber an allen drei Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gedacht ist

Für die alten Mysterienkulturen ist der einzelne nichts, Rechts- und Wirtschaftsleben befinden sich "im Schoße" des – theokratischen – Geisteslebens. Der Nachklang der Einheit der alten Mysterien mit ihrer ganzen Größe und Wucht ragt wie eine kollektive Erinnerung in unsere Zeit hinein. Die Mysterien traten zurück, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, damit der einzelne frei werden konnte. Was in den Mysterien gepflegt wurde, ging teilweise an Geheimgesellschaften und Kirchen über; in den Händen der letzteren befand sich das Geistesleben noch bis ins Mittelalter. Der emanzipatorische Prozeß der Individualisierung (von dem R. Steiner 1898 in seiner Beschreibung des "soziologischen Grundgesetzes" spricht) verläuft nicht ohne Widerstände und Rückschläge. Selbständigkeit macht immer noch Angst. Die verlorene "Wärme" der geschlossenen Gesellschaft erzeugt immer noch Nostalgie. Und im Staat sehen viele noch immer ein quasi vatergöttliches Prinzip. Der "freie Geist" erscheint dadurch als gefährlicher Mensch, ja als Verräter. Von solchen Stimmungen profitieren die Kräfte, die der Befreiung des Geisteslebens feindlich gesinnt sind. Die aggressivsten dieser Gegner sind die ahrimanischen Mächte der geistigen Finsternis. So wirkt aus dem Nicht-Sinnlichen ein starker Druck in Richtung auf eine bevormundende Einmischung des Rechts- und des Wirtschaftslebens in das Geistesleben. Vieles deutet darauf hin, daß wir vor gewaltigen Einwirkungen dämonischer Kräfte in die Menschheit stehen. Das Umsichgreifen grausamer Gewaltmethoden in unserer Welt ist nicht allein durch "soziales Fehlverhalten" erklärbar. Eine geistige Schlacht für die Individualität des Menschen gegen die Mächte der Ent-Ichung hat in diesem Jahrhundert begonnen.

Die "Philosophie der Freiheit" ist nach eigener Einschätzung ihres Autors, mehr als manches "esoterische" Werk R. Steiners, ein Jahrtausendbuch, weil es den emanzipatorischen, den antiautoritären Grundimpuls der Modeme aufgreift; den allen Gewalten trotzenden Impuls der Selbstverwirklichung des einzelnen. Die menschliche Biografie wandelt sich in ihrem Charakter, wird immer mehr zum selbst verfaßten Lebensbuch. Vollzog sich "Karma" früher als Prägung durch das Lebensumfeld, so müssen wir uns heute selber in individueller Weise in dieses Lebensumfeld eingliedern, in das jeder - durch sein Karma wohlbegründet - hineingestellt ist.

Die Sinn- und Motivationskrisen unserer Zeit, die Aussteigerbiografien, hängen mit der Schwierigkeit zusammen, die Antriebe zum Handeln aus eigener Einsicht zu schöpfen. Wir brauchen heute Gemeinschaften, in denen etwas lebt, an dem sich der einzelne entflammen kann. Eine Menschengemeinschaft, so formuliert R. Steiner 1905 in seinem "sozialen Hauptgesetz", muß eine soziale Mission haben, und jeder einzelne muß wollen, daß diese Mission verwirklicht wird.

R. Steiner formuliert 1922 in den sog. Oxford-Vorträgen, in der sozialen Frage gebe es keine generellen Lösungen. Erfolg verspreche allein die Bildung sozialer Gruppen, die Partiallösungen der sozialen Frage an irgendeinem Ort und zu irgendeiner Zeit möglich machten. Darin liegt die Mission von Initiative und Selbstverwaltung. Freiheit ohne Initiative ist letztlich undenkbar. Nicht auf die Hilfe irgendeiner äußeren Instanz warten, sondern auf die eigene Kraft bauen, ist die Devise des modernen Menschen. Wir leben in einer Wendezeit, in der sich die Gesellschaft aus einer stationären in eine prozessuale, sich ständig revolutionierende transfofmiert. Diese permanente Umgestaltung beginnt beim Dreigliederer selbst. Wir alle müssen uns von den Verhaltensmustern lösen, die uns durch die Jahrtausende der statischen Gesellschaft eingeprägt worden sind.

Was ist Geistesleben?

In Vortragsform wurde dieses Thema von C. Strawe behandelt.

Dem Geistesleben, für Rudolf Steiner Inbegriff alldessen, was durch die individuellen menschlichen Fähigkeiten in das soziale Leben einströmt, kommt für den sozialen Organismus die Rolle des Ernährungspols zu. Der einzelne Mensch baut in der geistigen Tätigkeit, soweit sie sich auf sein Nerven-Sinnes-System abstützt, seine Vitalkräfte ab, verausgabt sich selbstlos in der Arbeit, – und gerade dadurch baut sich das Leben des sozialen Organismus auf! Schon in der einfachsten körperlichen Arbeit werden individuelle Fähigkeiten betätigt, tritt die Aufmerksamkeitskraft des Ich in Aktion. So gesehen ist alle Arbeit Geistesleben: welch ein radikaler Denkschritt gegenüber Plato und der Antike überhaupt, die auf die materielle Arbeit herabsieht. Nicht emmal die einfache Reproduktion des Lebens ist ohne Geist möglich. Ohne die Innovationskraft des Geistes müßte sich das Leben immer im gleichen Kreise drehen. Es ist auf die Arbeit angewandter Geist, "Grizzi", wie Rudolf Steiner einmal salopp formuliert, der Hammer und Sichel, Dampfmaschine und Mähdrescher möglich macht und damit das soziale
Gefüge permanent revolutioniert. Wenn sich heute das alte Verhältnis zwischen Stadtbevölkerung und Landbevölkerung völlig umgekehrt hat, so ist dies das Resultat von "Geistesleben". Und.man trägt dieser Tatsache ja auch allgemein dadurch Rechnung, daß man gewaltige Mittel in den "Produktivitätsfaktor" Geist investiert: in Forschung, in Aus- und Fortbildung. In dieser Hinsicht ist die Ernährung des sozialen Organismus – zumindest in unseren Breiten – heute relativ gesichert. Doch weder der einzelne Mensch – noch sein sozialer Organismus – leben vom Brot allein. Wo der Geist nicht zu sich selbst kommt, sondern nur Instrument zur Erreichung äußerer Zwecke ist, da ensteht geistige Unterernährung im sozialen Gefüge. Nur wo sinngebende Motive leben, wo die Geistnatur des Menschen durch Wissenschaft, Kunst, Religion und Pädagogik als Selbstzweck gepflegt und schöpferisch betätigt wird, kann sich das soziale Ganze gesund entwickeln. Die Befriedigung materieller Bedürfnisse wird sonst aus dem Mittel zur Entfaltung der menschlichen Wesenskräfte zum Zweck, in dessen Knechtschaft diese Wesenskräfte gefesselt bleiben. Ein fremdbestimmtes Geistesleben wird in seiner Kernfunktion gelähmt, es verstopft den in den Individualkräften des einzelnen liegenden Quell geistiger Produktivität.

Gerade die Bildungseinrichtungen, in denen es ja um die Pflege und die Entwicklung individueller Begabungen und Fähigkeiten geht, brauchen Freiheit und
Selbstgestaltung wie die Luft zum Atmen. Nur ein – im sozialen Sinne – freies und selbstbestimmtes Geistesleben ist produktiv und fruchtbar, individuell und vielfarbig, vermittelt Sinn und damit Lebensqualität. Nur ein solches Geistesleben wirkt veredelnd auf die Bedürfnisse und prägt damit auch dem Wirtschaftsleben seinen Stempel auf. Wir bekennen uns heute zu den allgemeinen Menschenrechten. Aber wir haben die Befreiung im Sinne dieser Menschenrechte gesamtgesellschaftlich noch nicht weit genug getrieben. Diese Freiheit darf nicht auf Konsum- und Meinungsfreiheit reduziert werden. Das Recht des mündigen Bürgers auf die Bildung und Verbreitung eigener Urteile muß ergänzt werden durch das uneingeschränkte Recht zu Initiative, d.h. auf das Recht auf Selbstverwaltung und Selbstverantwortung in allen Lebensbereichen. Eine solche Auffassung der Freiheit macht diese erst zur öffentlich-relevanten, sie ergänzt das Prinzip der Selbstverwirklichung durch das der sozialen Verantwortung.

Bedrohung der Lebensgrundlagen durch die Verquickung von Forschung, Wirtschaft und Staat

Die gesellschaftliche Relevanz der Frage nach Selbst- oder Fremdbestimmung des Geisteselebens wird auch an der von Wolfgang Schad in einem Vortrag behandelten ökologischen Frage deutlich. Nur eine – durch die Befreiung der Kultur sozial geförderte – Verantwortungsethik kann auch zu einem anderen - sozialökologischen - Umgang mit Energie und Ressourcen führen. Die Wirkungen eines befreiten Geisteslebens in dieser Richtung dürfen nicht unterschätzt werden. Indem die Wissenschaft aus den Fesseln der ökonomischen Verwertungszwänge entbunden wird, entsteht Raum für ein neues Denken über Natur und Leben, das eine conditio sine qua non für die Überwindung der Naturausbeutung und -zerstörung darstellt. Es ist signifikant, daß in der Biologie heute morphologische Forschung kaum gefördert wird, während die Genforschung unter Verwertungsgesichtspunkten mit gewaltigen Summen ausgestattet wird. Die Geographie als per se integrale, ökologisch-global ausgerichtete Wissenschaft kümmert an den Universitäten immer noch dahin. Selbstbestimmte wissenschaftliche Institutionen würden sich in der öffentlichen Diskussion stärker bemerkbar machen, darauf drängen, daß aus Einsichten auch Taten folgen. So aber geht die Vernichtung der Regenwälder weiter, obwohl alle seriösen Wissenschaftler sich seit 20 Jahren über die Folgen einig sind.

Symptomatisches zum heutigen Geistesleben

Hierzu sprach Christoph Lindenberg, der an der These des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann von der Konstitution der Gesellschaft durch "Kommunikation" anknüpfte. Historisch bilden sich mit zunehmender Komplexität der Gesellschaft Zeichensprachen heraus, die die Eindeutigkeit der Kommunikation sicherstellen. Die Schrift, das Geld als internationales Kommunikationsmittel des Handels, eindeutige Verfahrensweisen ("Rituale" und
Symbole politischer Macht usw.) stabilisieren das gesellschaftliche Gefüge.

"Wissen" tritt in alten Zeiten als Weisheit (von Königen, Sybillen usw.) auf, später entwickelt sich die Logik, die es erlaubt, das Wissen durch formalisierte Formen des Schließens weiterzubilden. Die Neuzeit bringt einen entscheidenden Wandel: die Empirie tritt in den Vordergrund, Regeln des richtigen Experimentierens werden entwickelt. So entsteht ein professionelles, empirisch überprüfbares Wissen, bei dessen Erlangung theologische und politische Rücksichten als "unprofessionell" ausgeschlossen werden. Altes und neues Wissen werden deutlich unterschieden. Nur der ist im modernen Verständnis beispielsweise ein wissenschaftlich zu nennender Historiker, der durch Forschung bestrebt ist, wirklich Neues herauszufinden, die Quellen allseitig studiert und ihre Aussagekraft einschätzen kann. Nur auf solche Weise gewonnene seriöse wissenschaftliche Ergebnisse sind "anschlußfähig". Die Wissenschaft steuert sich durch Selbstbeobachtung der Forschenden aufgrund eigener Standards. Symptomatisch ist dabei das Fehlen einer steuernden Zentralinstanz. Die wissenschaftliche Themenwahl ist in modernen Gesellschaften frei, Meinungsverschiedenheiten werden toleriert und nicht mehr durch Ketzerprozesse "beseitigt". Durch die Selbstreflexion der Wissenschaft Betreibenden entsteht eine relativ strenge Selektion, bei der Pseudowissenschaftliches (z.B. die NS-Geschichtsschreibung oder marxistische Geschichtsdogmen) nach und nach ausgesiebt wird. Die "Reputation" honoriger Forscher, verbunden mit der Reputation von Verlagen und Zeitschriften (Rezensionswesen), ist ein wesentliches Steuerungsinstrument im Geistesleben. So wird gewährleistet, daß zumindest tendenziell nur wirklich Neues, mehrfach Überprüftes als wissenschaftlich seriös anerkannt wird. (Im weiteren Verlauf der Arbeitswoche wurde dazu angemerkt, daß die neuere Wissenschaftstheorie [Thomas Kuhn] die Rolle von Paradigmen im wissenschaftlichen Prozeß herausgearbeitet hat. So gibt es neben der Ausgrenzung von Nichtprofessionellem immer auch Ausgrenzungsmechanismen gegenüber Unkonventionellem, nicht zu den herrschenden Paradigmen Passendem.)

Lindenberg plädierte vehement dafür, die Regeln der Professionalität immer in den Begriff des Geisteslebens einzubeziehen. Die Frage der Selbstverwaltung könne nicht unabhängig von den Inhalten diskutiert werden. Sonst werde der Begriff des Geisteslebens durch den eines freien Seelenlebens (die postmoderne Beliebigkeit des "Anything goes") ersetzt. Überhaupt erschien Lindenberg die Postmoderne als ein Synonym für "kommunikative Unklarheit".

Die Ideen von Freiheit und Selbstbestimmung dürften nicht zum Alibi für Unprofessionalität, für Gefälligkeitskoalitionen und sektenhafte Inkompetenz werden. Freiheit und Verantwortungsfähigkeit dürfen nicht entkoppelt werden.

Wissenschaftsfreiheit bedeutet die innere Autonomie einer Gemeinschaft von Forschenden und Lehrenden (der "Scientific Community"). Freiheit der Erziehung bedeutet die innere Autonomie einer Gemeinschaft der Unterrichtenden, nicht Freiheit der Lehrer von der Beurteilung ihrer pädagogischen Kompetenz.

Es darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, ob der einzelne seinen Platz in der Gesellschaft findet, an dem er seine geistigen Potenzen fruchtbar einsetzen kann. In diesem Zusammenhang thematisierte Lindenberg das Problem der hohen Zahl der Studienabbrüche in der Bundesrepublik, die u.a. mit der Entwertung des Abiturs durch Inflationierung ("Fehlen der richtigen Anschlüsse") zusammenhänge. Es bedürfe sachlicher Orientierungsmarken, kommunikativer Klarheit. Diese sei ein Gewinn für den sozialen Organismus. Die Verfassung des freien Geisteslebens muß diese Klarheit fördern.

Initiative und Selbstverwaltung

Zu den Themen "Initiative und Selbstverwaltung", "Formen der Selbstverwaltung" und "Finanzierung des Geisteslebens" sprach in vier Vorträgen Udo Herrmannstorfer, wobei u.a. die folgenden Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle spielten:

Kern menschlicher Mündigkeit ist das eigene Urteil und das Handeln in Übereinstimmung mit dem individuell als richtig Erkannten. So betrachtet ist Selbstverwaltung nicht primär eine bestimmte organisatorische Struktur, sie ist die Form schlechthin, in der mündige Menschen ihr Leben gestalten - ihr eigenes und ihr Zusammenleben mit anderen. Soziale Gestaltung ohne dieses Element der Eigeninitiative gelingt heute immer weniger: Wo der einzelne das Entwicklungsziel der Mündigkeit verfehlt, entstehen die Einfallstore für Chaotisierung und Unmenschlichkeit. Mündigkeit ist nie gegeben, sondern immer aufgegeben. Die erste Form der "Selbstverwaltung" ist der eigenverantwortliche Umgang mit sich selbst. Und je mehr jemand in dieser Hinsicht an sich gearbeitet hat, um so mehr wird er auch in eine gemeinschaftliche Selbstverwaltung einzubringen haben. Initiative kann man fördern, jedoch nicht lehren. Die Gemeinschaft als solche kann niemals den Inhalt der Initiative bestimmen, schon gar nicht aus Tradiertem und "Bewährtem" heraus. Initiativ-Sein heißt Neues kreieren, nicht Altes kopieren.

(wird fortgesetzt)