Die EG-Bio-Verordnung und ihre Auswirkungen auf den Naturkostmarkt
Fußnote (1).
Der sog. "Bio-Bereich" ist in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil des zeitgemäßen Lebensmittelsortiments geworden. Waren Produkte aus ökologischem Anbau über lange Zeit nur in Naturkostfachgeschäften oder Reformhäusern erhältlich, so besitzt heute nahezu jede Lebensmittelhandelskette ihre "Bio-Ecke" oder hat eine eigene "Bio-Linie" als Handelssortiment entwickelt.
Die biologisch-dynamische Bewegung, aber vor allem der organisch-biologische Anbau sind in den letzten 10 Jahren kontinuierlich gewachsen; seit 1989 ist aufgrund des Extensivierungsprogramms (Fördermittel für Landwirte, die auf biologische Anbauweise umstellen) das Wachstum nicht mehr linear, sondern eher sprunghaft. Trotzdem beträgt die seriös ökologisch bewirtschaftete Fläche gerade 1 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Neueste Verbraucherumfragen bestätigen diese Entwicklung auch auf Konsumentenseite: Laut einer aktuellen Umfrage möchten sich 62% der bundesdeutschen Bevölkerung gesund ernähren und sind bereit, einen etwas höheren Preis dafür in Kauf zu nehmen.
Mit der Entwicklung dieses Bio-Marktes traten auch vermehrt sog. "Pseudo-Bio-Produkte" auf, d.h. Produkte, die mit anerkannt ökologischem Anbau wenig zu tun haben, bei denen allenfalls der Name oder das Verpackungsdesign den Eindruck von Bio-Qualität hervorrufen. Damit waren über Jahre hin gute Geschäfte zu machen, da Begriffe wie biologisch, ökologisch usw. nicht geschützt waren.
Vor diesem Hintergrund ist die EG-Bio-Verordnung zu sehen: mit ihr soll zukünftig die Verwendung solcher Begrifflichkeiten klar geregelt sein. Dies wurde u.a. von den in der Arbeitsgemeinschaft für ökologischen Landbau ("AGÖL") zusammengeschlossenen Verbänden (Demeter-Bund, Bioland, Biokreis Ostbayern, Naturland, ANÖG) schon lange gefordert.
Seit 5 Jahren arbeiten die Vertreter der AGÖL zusammen mit einer Kommission der europäischen Gemeinschaft an dieser Vorlage. Am 24.6.91 beschloß der Rat der europäischen Gemeinschaften die Verordnung über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel. Es handelt sich um den Rahmen für die Erzeugung, Etikettierung und Kontrolle. Am 22.7.91 wurde dies im Amtsblatt veröffentlicht, d.h. nach 9 Monaten müssen die Mitgliedstaaten ein entsprechendes Kontrollsystem eingerichtet haben und nach weiteren 3 Monaten die ökologischen Erzeugnisse in den Geschäften dieser
Vorschrift entsprechen.
Rechtsqualität: Es handelt sich nicht um unverbindliche Empfehlungen, sondern um eine unmittelbare, verbindliche, direkt anwendbare Rechtsnorm. Davon berührt sind Anbau, Verarbeitung und Handel.
Wesentliche Inhalte:
- Der biologische bzw. ökologische Anbau wird als Produktionsverfahren definiert.
Bei einer Deklaration von landwirtschaftlichen Erzeugnissen als "biologisch" bzw. "ökologisch" muß der Beweis erbracht werden, daß bestimmte Produktionsrichtlinien eingehalten wurden.
Die Produktionsrichtlinien sind auf Basis der sog. IFOAM-Richtlinien erstellt. (2)
- Zur Zeit umfaßt die Verordnung nur pflanzliche Produkte; Vorschriften für die Tierproduktion werden 1992 nachgereicht.
- Eine entsprechende Auslobung bei der Produktkennzeichnung ist nur möglich, wenn die Anforderungen der EG-Bio-Verordnung voll erfüllt sind, d.h. es dürfen ökologische Produkte als solche nur gekennzeichnet und hervorgehoben werden, wenn 100% der Zutaten aus ökologischem Anbau stammen (falls nicht verfügbar, dürfen max. 5% nicht ökologische Stoffe verwendet werden; Produkte, deren Bestandteile zu 50-95% aus ökologischem Landbau stammen, dürfen zukünftig diesen Hinweis in der Zutatenliste führen, aber nicht hervorheben).
- Diese Verordnung verlangt zwingend eine durchgehende Kontrolle über alle Stufen der Lebensmittelkette, mindestens einmal pro Jahr.
- Die Prüfungs- und Zertifizierungsstellen müssen einen Kriterienkatalog erfüllen; wie z.B. Nachweis eines qualifizierten Personals, angemessene Ausstattung, Führung durch neutrale Lenkungsgremien, keine Vertretung von Einzelinteressen etc.
- Die Verordnung überläßt den Mitgliedstaaten viele Regelungen in den Einzelheiten; z.B. die Einsetzung einer Behörde zur Überwachung von den zugelassenen Kontrollstellen und überhaupt die Zulassung von privaten Kontrollstellen.
- Diese EG-Verordnung ist innerhalb der Bundesrepublik von den einzelnen Bundesländern zu vollziehen.
Erklärtes Ziel ist der Schutz des Verbrauchers und der ökologischen Erzeuger. Bemerkenswert erscheint, daß diese Verordnung vom landwirtschaftlichen Anbau als Methode ausgeht und nicht beim Produkt bzw. bei den Rückständen ansetzt.
Bedeutung für den Naturkostmarkt: Die konkreten Auswirkungen lassen sich heute schwer einschätzen, da man sich momentan erst auf dem Weg zur Umsetzung befmdet und bei einzelnen Punkten noch Unsicherheit bezüglich der Durchführungsbestimmungen besteht. Konkrete Hinweise und Formulierungen für die Umsetzung werden in den nächsten Monaten erwartet. Einige Feinheiten werden sicherlich erst nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung geklärt sein. So ist z.B. eine klare Trennung bzw. Kenntlichmachung von offener Ware (Gemüse in Kisten, Brot etc.) gefordert. Was dies letztendlich für den Landwirt bzw. Händler in der Praxis bedeutet,
ist nicht absehbar. Ebenfalls sind die Kriterien des Anbaus noch so offen bzw. erweiterbar, daß im Extremfall auch der sog. integrierte Pflanzenschutz darunterfallen könnte. Vorgesehen ist bisher auch, daß Erzeugnisse von sog. Umstellbetrieben ab 1994 nicht mehr besonders ausgezeichnet werden dürfen und damit als konventionelle Ware in den Verkauf gelangen. Insofern wird die Zukunft zeigen, ob aus der EG-Bio-Verordnung nicht eine EG-Bio-Verhinderungsverordnung wird.
Für den Bereich der DEMETER-Arbeit ergeben sich zunächst keine konkreten Konsequenzen, da die EG-Bedingungen sowohl auf Anbauseite als auch bei der Verarbeitung durch die DEMETER-Richtlinien erfüllt sind und bei der Kennzeichnung seitens des DEMETER-Bundes sogar strengere Richtlinien vorliegen.
Einige Auswirkungen lassen sich heute bereits ab schätzen:
Sicherlich wird mehr Klarheit – vor allem auch bei Importware – erreicht. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr der Verdrängung der regionalen bzw. nationalen Anbauverbände. Für den Verbraucher kann das EG-Bio-Zeichen zum Hauptverkaufsargument werden und so zur Benachteiligung des deutschen Anbaus führen. Der mit der Verordnung verbundenen allgemeinen Nivellierung steht im biologisch-dynamischen Bereich der Gedanke der Hof-Individualität entgegen. Es entstehen folgende Fragen:
1. Mündigkeitsfrage: Offen ist, ob das Ziel – der Schutz des Verbrauchers – erreicht wird, wenn ihm die Verantwortung durch ein einheitliches Zeichen, dem er blind vertrauen zu können glaubt, abgenommen wird und damit ein Impuls für eigene Aktivität und Interesse entfällt. Innerhalb der DEMETER-Arbeit wird versucht, den Verbraucher aktiv mit einzubeziehen, so daß er Verantwortung mittragen und als mündiger Konsument zu einer bewußten Kaufentscheidung kommen kann.
2. Frage der Gemeinschaftsbildung: Die bisherigen Bemühungen von Anbauern, Händlern und Verbrauchern, durch Transparenz und gegenseitiges Verständnis Verbindlichkeit zu schaffen, werden durch diese Verordnμng nicht gefördert. Auch besteht die Gefahr, daß der prozessuale Charakter biologisch-dynamischen Wirtschaftens, bei dem jeder Beteiligte sich auf einen Weg machen muß, der letztlich zum ganzheitlichen Verständnis des Lebendigen führt, durch ein statisches, "öko-technologisches" Anbauprinzip verdrängt und die Illusion der 100%igen Kontrolle geweckt wird. Es wird von den beteiligten Menschen abhängen, ob solche Gefahren
abgewendet werden können.
Fußnoten
(1) Der Beitrag wurde auf dem Netzwerktreffen Im Oktober In Mannheim gehalten und für den Druck überarbeitet.
(2) IFOAM: lnternatiooal Federation of Organic Agriculture Movement.