Krieg in Europa? oder Eine Konzeption für den Frieden
Die Einsicht: "Wir brauchen eine Vision der Welt, in der wir gerne leben wollen. Wir müssen die vorhandenen materiellen, menschlichen und moralischen Ressourcen in unsere Überlegungen einbeziehen, damit unsere Vision realistisch und lebensfähig ist. Und wir müssen die menschliche Energie und den politischen Willen aufbringen, die neue globale Gesellschaft zu schaffen." – Diese Einsicht formuliert der neue Bericht des "Club of Rome" 1991.
Der Konflikt
Die europäische Realität ist spannungsgeladen. Sie ist das Ergebnis langer Unterdrückung der sich jetzt befreienden Völker. – Ist das, was sich jetzt auf dem Balkan abspielt, erst der Anfang weiterer Konflikte? Soll in einem Land, wie es jetzt in Jugoslawien geschieht, zum Leid seiner Bevölkerung, zum Schaden der Wirtschaft, zur Vernichtung kultureller Güter, der Unfrieden, der versteckte und offene innere Kampf Dauerzustand werden? Sollen die Flüchtlingsströme der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen noch weiter wachsen und in fremden Staaten und immer bedrängteren Verhältnissen Asyl suchen müssen? Darf ein Land der Herd ständiger Bedrohung des Friedens für Europa bleiben?
Wie ist das zu verhindern? – Was sich mit besonderer Heftigkeit in Jugoslawien, aber auch in den vielen lange unterdrückten anderen europäischen Völkern abspielt, ist somit auch eine europäische Frage. –
Die drei Problemfelder
Die wachsende wirtschaftliche Not bleibt nicht auf das enge jeweilige Staatsgebiet beschränkt, es trifft ganz Europa und fordert zwangsläufig einen immer größeren Einsatz aller Völker.
Die bereits entstandenen und weiter entstehenden Schäden werden – ebenso wie in Friedenszeiten die angebotenen Produkte – von dem mehr und mehr zusammenwachsenden Wirtschaftskreislauf aufgefangen und in irgend einer Form bezahlt werden müssen!
Die geistig-kulturellen Probleme und Aufgaben, die – sich durch die vielfältigen religiösen und lebensmäßigen Strömungen gebildet haben, geben allen Auseinandersetzungen ein besonderes Gewicht. Diese bilden neben den wirtschaftlichen Notwendigkeiten innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft ein ganz eigenes soziales Element und müssen daher auch gesondert von diesem betrachtet und geregelt werden. Die Geistigkeit der verschiedenen Völkerschaften kann nur dann in der rechten Weise sich auswirken, wenn eine wirkliche Lösung der Nationalitätenfrage gefunden wird. Damit wäre auch Entscheidendes gewonnen für die Heraufführung eines neuen Zeit alters der Menschen- und Völkerbeziehungen überhaupt.
Auch eine Gesundung der allgemeinen politisch-staatlichen Verhältnisse, d.h. der elementaren Rahmen- und Sicherheitsbedingungen, innerhalb derer die Menschen, Gruppen und Völker überhaupt miteinander verkehren können, ist im europäischen Interesse ein unbedingtes Erfordernis. Andernfalls würde durch die ungelösten und eskalierenden Probleme der europäische Frieden der ganzen Völkergemeinschaft dauernd gefährdet sein!
So ist das Problem der Neugestaltung der jetzt vehement aus der alten einheitsstaatlichen Fesselung in die Freiheit aufbrechenden Völker eine Frage der wirtschaftlichen, rechtlich-politischen und kulturell-geistigen Gesundung für ganz Europa.
Die dreifache Aufgabe
Das heißt aber zugleich, einen Weg zu einem neuen menschlichen Zusammenleben und -arbeiten zu finden, der zunächst einmal die geistig-kulturelle Andersartigkeit nicht nur jeder Bevölkerungsgruppe – und sei es als Minderheit –, sondern jedes einzelnen Menschen als Lebensrealität mit den entsprechenden Konsequenzen anerkennt (siehe Beispiel Litauen). Dieses kann jedoch nur für die individuellen Lebens- und Kulturgewohnheiten gelten. Hier sind Freiheit und funktionelle "Autonomie" notwendig und berechtigt.
Beispiel Litauen: "Mit der vollen Unabhängigkeit Litauens wird die Frage der Minderheiten von einer politischen zu einer kulturellen." (1) Das ist die adäquate Antwort des litauischen Staates in Form eines Verfassungsentwurfes und eines Minderheitengesetzes, das den rd. 260.000 Polen, 350.000 Russen, den 8.000 Juden sowie den kleineren Minderheiten wie den Tartaren, Weißrussen oder Moldaviern das Recht auf kulturelle Autonomie, Religionsfreiheit, die eigene Sprache, eigene Schulen und Ausbildungseinrichtungen gibt. Zudem dürfen Minderheiten, die ein geschlossenes Territorium bewohnen, ihre Muttersprache als Amtssprache einführen ... Eigene Schulen und eine eigene Universität sind vorgesehen. (Aus "Die TAZ" vom 4.9.91)
Ein eigenes Verkehrs- oder Gebietsrecht kann daraus aber nicht ohne weiteres abgeleitet werden. Denn hier begegnet jeder Bewohner eines Landesteiles oder einer Stadt den Gleichheitsansprüchen der anderen; z.B. Mitbenutzung der allgemeinen Infrastruktur, Kommunikationsmittel usw. Und damit muß, über das rein Individuelle und Kulturelle hinaus, Gemeinsamkeit im Hinblick auf Verwaltung und Absicherung der allgemeinen Rechte gefunden werden. – Das ist das zweite gesellschaftliche Gebiet, auf dem sich das soziale Leben abspielt. –
Eine dritte, relativ eigenständige Ebene hat sich herausgebildet durch die arbeitsteilige Wirtschaft, welche auf die verschiedenen Gebiete eines Landes verteilt ist. Hier wird am Unmittelbarsten die Notwendigkeit erlebt, daß die Zusammenarbeit und der Austausch von Rohstoffen und Gütern über staatlich-politische Verwaltungsgrenzen hinweg auch ohne Rücksicht auf kulturelle, volksmäßige oder religiöse Zugehörigkeit stattfinden muß; insofern eine Bevölkerungsgruppe am allgemeinen Wohlstand teilhaben möchte. (Diese Erkenntnis leitete auch Gorbatschow in seinem Bemühen, den Vielvölkerstaat der ehemaligen Sowjetunion nicht in ein Chaos von Einzelstaaten auseinanderbrechen zu lassen, indem er in seinem Konzept neben einem politisch-rechtlichen Gremium als Vertretung der souverän gewordenen Republiken einen relativ eigenständigen Wirtschaftsrat zum Aufbau einer Wirtschafts-Union veranlagte.)
Die Vorläufigkeit der Lösungen
Die Heftigkeit, mit der zur Zeit die alten zentralistisehen Gesellschaftsformen zerbrochen werden, und auch die ganze Kompliziertheit der vielfältig mit einander verflochtenen Gebiete des gesellschaftlichen Lebens führt uns vor Augen, daß die Lösung dieser Fragen zunächst immer nur ein vorübergehender Zustand sein wird, der letztendlich auch nur im großen Zusammenhang mit einer zeitgemäßen Neugestaltung der europäischen Verhältnisse gelöst werden kann.
Gerade die in den östlichen, ehemals sozialistischen Ländern entstandenen Verhältnisse zeigen überdeutlich, daß nach dem Ende der Gewaltmethoden einer abgelaufenen Epoche allein die schlichte Übertragung des Parlamentarismus, der auf eine zentrale Regierung hin orientiert ist, und unkritisch übernommene marktwirtschaftliche Prinzipien auf Dauer die realen, besonderen Verhältnisse im Osten zu keiner friedlichen Entwicklung bringen können!
"In ihrer heute praktizierten Form ist die Demokratie für die vor uns liegenden Aufgaben nicht mehr besonders gut geeignet." ... Visionen jedweder Art fehlen: Regieren verkommt zur regelmäßig wiederkehrenden Krisenbewältigung, zum "Taumeln von einem Notfall zum anderen". – "In der gegenwärtig entstehenden Welt kann die Entscheidungsgewalt nicht länger das Monopol von Regierungen und ihren Ministerien sein, die obendrein noch in einem Vakuum arbeiten ... Die Entscheidungszentren müssen so nahe wie möglich bei den Menschen liegen, die von den Entscheidungen profitieren oder unter ihnen zu leiden haben!" – (Aus dem Bericht des "Club of Rome" 1991)
Die Verflechtung
Zu einem Neuaufbau kann man nur kommen, wenn man sich klar darüber ist, daß sich in den Industriegesellschaften des Westens und des Ostens im Grunde drei funktionell verschiedene "Gebiete" mit eigenen Gesetzmäßigkeiten herausgebildet haben, die in der Lebenswirklichkeit trotz ihrer unterschiedlichen Funktionen ineinandergreifen:
- Das Wirtschaftsleben
- Das rechtlich-politische Leben
- Das geistig-kulturelle Leben.
In den bisherigen Staatsformen und insbesondere in den Staaten mit sozialistischer Vergangenheit sind diese drei Gebiete in einem besonders hohen Maße miteinander verquickt. Und aus diesem Durcheinander gehen letzten Endes die Zustände der Gegenwart hervor. Die wirklichkeitsgemäße Gestaltung des sozialen Lebens kann daher nur in einer funktionellen Verselbständigung dieser drei Gebiete bestehen. Der Anfang des Weges dazu ist überall dort bereits beschritten, wo aus der Erkenntnis der Unterschiedlichkeit der drei Lebensgebiete und ihrer Funktionen – zum Teil aus der Not heraus – entsprechend gehandelt wird. Die historische Entwicklung wird dazu führen, daß dieser Not und den Forderungen der Menschen gehorchend der bisherige Staat Schritt für Schritt zu einer immer deutlicheren Dreigliederung des sozialen Organismus führen wird. Das heißt, er wird auf Dauer auf der einen Seite die Wirtschaft, auf der anderen Seite das Kultur- und Geistesleben aus seinem Machtbereich entlassen müssen! -
Die Frage ist dabei nur, wie entschlossen dieses Ziel auch bewußt durch die menschliche Vernunft angegangen wird, bzw. wie groß der Umfang der Krisen und Katastrophen erst werden muß, damit auch die noch relativ geordneten Gesellschaftsgebilde – letztendlich auch im Westen – sich auf diese Entwicklungsaufgabe existentiell einstellen! –
Die funktionelle Verselbständigung
Eine entschlossene Entflechtung von Kulturbereich, Rechtsstaat und der Wirtschaftstätigkeit ist der Weg zu einer dreifunktionalen Gesellschaft. Das kann als Leitbild aus den gegenwärtigen Entwicklungstendenzen herausgelesen werden. Demgemäß wird sich zeigen, daß zu den eigentlichen Aufgaben des Wirtschaftslebens nur noch Warenerzeugung, Warenverteilung und Warenverbrauch gehören, die auf assoziativ-vertraglicher Grundlage von Sachverständigen zu verwalten sind. Ungehindert von staatlichen und politischen Machtverhältnissen werden die Produzenten und Konsumenten der verschiedenen Länder versuchen müssen, in gemeinsamer Arbeit die Befriedigung aller Bedürfnisse nach ökonomischen und ökologischen Bedingungen zu regeln. – Die Aufgabe des Rechtsstaates ist dabei ausschließlich, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Das geistig-kulturelle Glied in einem dreigliedrigen Gesellschaftsorganismus umfaßt seiner Funktion nach Wissenschaft, Kunst, Religion, das gesamte Erziehungswesen und die richterliche Rechtsprechung. Alle diese geistig-kulturellen Faktoren können nur in vollkommener Freiheit von staatlichen Eingriffen ihre Aufgabe erfüllen und in rechter Weise das soziale Leben befruchten. Das zeigen – trotz gegenläufiger Tendenzen – auch die Entwicklungen und Tatsachen in den westlichen Staaten. – Das Geistesleben, die Kultur, muß sich aus dem freien Zusammenwirken aller geistig-schöpferischen Einzelpersönlichkeiten und auf der toleranten Anerkennung der entsprechenden Institutionen und ihrem gleichberechtigten Nebeneinander heraus gestalten. Es muß sich selbst auch eigene Verwaltungskörperschaften geben. Allein dadurch kann mit der Zeit eine funktionsfähige kulturelle "Autonomie" hergestellt werden. –
Dem mittleren Glied, dem rechtlich-politischen Teil des sozialen Organismus, verbleibt dann in erster Linie die Polizei und die Verwaltungstätigkeit und somit die Sicherung der elementaren gemeinsamen Lebens- und Rechtsgrundlagen, welche lediglich den Rahmen für das Zusammenleben abgeben dürfen und damit ihre Hauptaufgabe finden: den Bürger zu schützen. In diesen Bereich gehört auch der militärische Komplex, insofern er der Sicherung des Gesamtfriedens dient! – Diese Aufgaben können geregelt werden durch demokratisch gewählte Parlamente sowie entsprechende regionale und lokale Einrichtungen. Da ein solches Parlament und die entsprechenden Verwaltungseinrichtungen sich lediglich mit staatlich-politischen Fragen befassen – d.h. Beschränkung auf die notwendigen Rahmengesetze – sind dadurch unmittelbare Eingriffe in die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit sowie in das geistig-kulturelle Leben der jeweiligen Volks-, Sprach- oder Religionsgruppen vermieden. –
Nur durch eine solche Gliederung der sozialen Organismen in Europa, besonders derer, die jetzt in den dramatischen Umbrüchen ihrer Gesellschaftsordnung begriffen sind, wird auch der wirtschaftliche Kreislauf sich unabhängig von politischen Staatsgrenzen über diese hinweg allmählich ordnen und sich nach seiner eigenen Gesetzmäßigkeit abspielen können. –
Der Tendenz nach liegen z.B. den Bestrebungen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft solche Einsichten zugrunde, wenn dabei die politischen Verwaltungsgrenzen der einzelnen Länder respektiert werden und der geistige Austausch zwischen Volksteilen, die durch politische Grenzen getrennt sind, über diese Grenzen hinweg in freier, von staatlicher Machtpolitik ungehemmter Weise möglich wird!
Denn gerade das Wiedererwachen der lange unterdrückten geistigen Eigentümlichkeiten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und die jahrzehntelange Verhinderung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten ist neben den Wirtschafts- und Versorgungsproblemen für ganz Europa ein langfristig wirkender sozialer Zündstoff. Auch im Westen finden sich solche Problemgebiete, wie z.B. Nordirland, Baskenland, Südtirol. –
Aufgabe für Gegenwart und Zukunft
Auf Dauer wird auch in ganz Europa eine solche gesunde Dreigliederung des sozialen Organismus in den verschiedenen Staatsgebieten bewußt in Angriff genommen werden. Am Beispiel Jugoslawien zeigt sich mit seinen vielfach gemischten Völkergruppierungen die Situation in einer besonderen Dramatik und fordert dringlich nach einer solchen Dreigliederung. Die von der europäischen Gemeinschaft empfohlenen Auflösung in Einzelstaaten kann jedoch nur der erste Schritt sein, um wieder in einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zusammenzukommen. Eher wird keine Ruhe eintreten können.
Hier kämpfen mehrere Kulturen und Volksindividualitäten, die einander durchdringen, um die Möglichkeit, sich auszuleben. Volks-, Kultur-, Sprachtradition, Religionszugehörigkeit, Erziehungswesen und richterliche Rechtsprechung sind Punkte, die zu Reibungen ständigen Anlaß geben. Nur durch die Loslösung des Kultur- und Geisteslebens und aller Einrichtungen aus dem staatlichen Verwaltungsmonopol können gerade diese brennenden Fragen – neben der Entstaatlichung und Neuorganisation des Wirtschaftslebens – gelöst werden. Nebeneinan_der werden sich dann verschiedene Kulturen entsprechend ihren Lebenskräften entwickeln können, ohne daß die eine die Vergewaltigung durch die andere zu befürchten hat, und ohne daß der politische Staat für die eine oder andere Partei ergreift. Er hat lediglich für das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Gruppierungen zu sorgen. Das heißt, nicht nur eigene Bildungsanstalten, sondern eigene Verwaltungskörperschaften für das Kulturleben wird jede "Nationalität" errichten können und auch ungehindert über die rein politischen Verwaltungsgrenzen hinaus mit den entsprechenden anderen kooperieren, so daß Reibungen vermieden werden können.
Und würde auch der Wirtschaftskreislauf vom Staatlich-Politischen losgelöst, so ließen sich die Wirtschaftsfragen in die europäische Gesamtwirtschaft eingliedern und nur durch Abkommen zwischen den Wirtschafts-Fachleuten und -Organisationen der beteiligten Länder lösen. –
Innerhalb der Gegenwart und der nächsten Zukunft wird sich daher das Folgende als das einzig Wirklichkeitsgemäße und Lebensmögliche zeigen: die einzelnen Völker, Republiken und Gebietsteile lösen sich funktionell aus dem bisherign Staatsverband heraus, insofem es sich um ihre eigene kulturell-geistige Volkszugehörigkeit handelt, und suchen zugleich ihre Verbindung zu den in anderen Landesteilen leben den verwandten Volksgruppen. Dadurch kann der Drang, physisch auszuwandern, abgebaut werden. Die politisch-verwaltungsmäßigen Gebietsaufteilungen dürfen diesen funktionellen, rein organisatorischen Zusammenschluß auf kulturellem Gebiet nicht behindern oder begrenzen. Hierin bestünde die berechtigte Erklärung einer "Autonomie".
Ebenso werden auf dem rein wirtschaftlichen Gebiete die Kapazitäten und Faktoren in ein neues Vertragsverhältnis gebracht, welches die realen Produktionsmöglichkeiten und Konsumbedürfnisse, sowie die internationalen Wirtschaftsbeziehungen regelt. Dieses muß und kann nur durch politisch unabhängige, praktisch in der Wirtschaft stehende Fachleute erfolgen. Entsprechende Wirtschaftsdelegationen bilden dabei eine Art kooperativen Wirtschaftsrat mit den notwendigen Aufgaben und Kompetenzen.
Ein Zusammenstimmen dieser "Gebiete", dem Kulturleben einerseits und den Wirtschaftsvorgängen andererseits, wird durch einen zunächst provisorischen, nur auf das rein rechtlich-politische Gebiet sich beschränkenden Verwaltungs-, Verkehrs- und Sicherheitsorganismus hergestellt, der auch die polizeilichen Befugnisse wahrnimmt. – Durch diese Aufgliederung wird allmählich auch eine immer stärkere Orientierung der Wirtschaft an den praktischen Konsumbedürfnissen der Bevölkerung marktorientiert stattfinden können. –
Weiterentwicklung der Demokratie
Trotzdem dieser Zustand nur schrittweise zu realisieren und ein vorläufiger ist, kann er, wenn er durchgeführt wird, als Musterbeispiel für die Maßnahmen dienen, die zunächst für Ost- und Mitteleuropa und letztendlich für ganz Europa Bedeutung gewinnen werden. Es wird sich eine Fortführung und Weiterentwicklung der demokratischen Traditionen Europas zeigen und sowohl ordnend wie friedensstiftend wirken.
Es wird viel davon abhängen, ob in die hier beschriebenen parlamentarischen Einrichtungen Menschen gewählt werden, die sich als vordringlichste Aufgabe das Ziel setzen, nicht die Macht des Staates zu erweitern, sondern sich für eine solche gegliederte Demokratisierung einzusetzen, alle Bürger zu schützen, ihre Initiative zu fördern und sich für die geistig-kulturelle Autonomie einerseits und für eine staatsunabhängige, am Markt orientierte, kooperative Wirtschaft andererseits einzusetzen. In dieser Richtung ist die Entwicklung im Gange. Alle europäischen Völker befinden sich mehr oder weniger halbbewußt auf dem Wege zu einer solchen dreifunktionalen Gesellschaft. Sie stehen nur an sehr unterschiedlichen Stellen. Und die Aufgabe ist jetzt, diese Richtung möglichst klar zu erkennen, wodurch das Zusammenleben der Völkergemeinschaft in Frieden möglich wird. – Allerdings darf keine Illusion dariiber aufkommen, daß zugleich auch starke Kräfte wirksam sind, die diesen Bestrebungen entgegenarbeiten und welche das Rad der Geschichte mit allen Mitteln zurückdrehen wollen.
Krisen sind Entwicklungs-Chancen
Faßt man die großen Entwicklungstendenzen, die in den äußeren Krisenerscheinungen nur ihren Ausdruck finden, zusammen, so wird ein historisch evolutionärer Entwicklungsschritt in der Grundtendenz sichtbar: nicht nur die alten Vorstellungen eines einheitlichen Staatswesens erweisen sich als nicht mehr haltbar und erzwingen völlig neue, ungewohnte, fließende Denkformen. Die Realität selbst drängt durch Krisen und Katastrophen in eine neue Richtung sozialer Gestaltung.
Dies geschieht in den östlichen ehemals sozialistischen Ländern Europas mit besonderer Dynamik. –
Die Formel
In eine kurze konstruktive Formel ·gebracht, kann als Aufgabe und Aufforderung an alle betroffenen und verantwortlichen Menschen verstanden werden, Lösungsversuche und Maßnahmen in folgender Richtung zu ergreifen:
1. Herauslösen aller kulturellen Tätigkeiten und Organisationen aus dem ursprünglichen Staatsverband, Unabhängigmachen des ganzen Erziehungs- und Unterrichtssystems in Hinblick auf Wissenschaft, Sprache, Kunst, Religion, Lebensformen und Förderung von kulturellen Einrichtungen in eigener autonomer Verwaltung.
2. Zusammenschließen aller Zweige des Wirtschaftslebens in freien, vom Staate unabhängigen Verbänden, Kooperationen und Assoziationen, – gleichgültig welcher Sprachgruppe, Religion oder Volksgemeinschaft die dort arbeitenden Menschen angehören. Rein wirtschaftliche Sachfragen sind hier die Grundlage. –
3. Einrichtung eines administrativen parlamentarischen Staatslebens im Hinblick auf eine allmähliche Klärung und Gesundung der allgemeinen politischen Verhältnisse, was jedoch in erster Linie die Sicherheit der Bürger und damit auch die kulturelle Aktivität einerseits, die wirtschaftliche Tätigkeit andererseits gewährleistet, ohne in sie inhaltlich einzugreifen. –
Wenn auch die Widerstände gegen eine solche Entwicklung wachsen, so ist doch die Chance für eine bewußte Verwirklichung dieser "europäischen Konzeption" gegeben. Die Einleitung einer solchen funktionellen Dreigliederung wird, wo immer sie begriffen wird und sich durchsetzt, friedensstiftend wirken. Andernfalls werden weitere Konflikte aufbrechen müssen, weil aus historisch-soziologischen Dimensionen heraus dieser hier beschriebene evolutionäre Entwicklungsschritt ansteht. Als Gesamtkonzeption verstanden und vertreten hat sie im Augenblick ihre besonders aktuelle Bedeutung für alle Länder zwischen dem Balkan und dem Baltikum. Und man kann ohne Übertreibung sagen, daß das Schicksal dieser Völker und ihre Entwicklung auch das Schicksal ganz Europas bestimmen wird. (2)
Diesen Grundgedanken entsprechen für die verschiedenen sozialen Gebiete auch die (dafür) notwendigen Detailkonzepte, bzw. sie werden aus den praktischen Gegebenheiten heraus entwickelt werden müssen.
Wer sich für die Verbreitung dieser Gedanken engagieren, Kontakte knüpfen helfen möchte oder einfach ins Gespräch kommen will, wende sich an Siegfried Woitinas (entweder über das Forum 3, Gymnasiumstr. 21, W-7000 Stuttgart, oder über das Büro der Initiative "Netzwerk Dreigliederung").
Fußnoten
(1) V. Grazulil, Kommlaaioo für Minderheitenfragen, VilDl111.
(2) In Anlehnwig an den Aufruf von Rudolf Steiner vom Januar 1921.