Politische Kultur und Öffentlichkeitsarbeit
Die Erkenntis, daß auch für die Bereiche des Sozialen und Politischen bzw. der Kultur auf ihre Weise Marketingstrategien benötigt werden, ist spätestens seit Mitte der 70er Jahre herangereift. Wichtige Anstöße zu einer konzeptionellen Entwicklung auf diesen Gebieten leistet der US-Marketing-Fachmann Philip Kotler, dessen Buch "Marketing für Non-Profit-Organisationen" ein Bestseller geworden ist: Es findet sich in unzähligen Bücherregalen politischer Parteien, bei Sport- und Kultureinrichtungen und in den Verwaltungen von Krankenhäusern, Schulen und Behörden. Kotler geht von der scheinbar naheliegenden Voraussetzung aus, daß die Grundprinzipien des Produktmarketings ohne weiteres auch auf alle anderen Bereiche zu übertragen sind. Der Erfolg, so scheint es, gibt ihm dabei recht.
So bereitet es kaum Schwierigkeiten, die Grundfragen jeder Marketingstrategie ("Wer bietet etwas an?", "Was wird angeboten?", "Was soll erreicht werden?") einfach mit veränderter Begrifflichkeit zu belegen. An die Stelle eines Herstellers wird z.B. ein politischer Kandidat gesetzt, aus Waren oder Dienstleistungen werden politische Versprechen oder Vergünstigungen, und statt Umsätzen werden Wahlstimmen angestrebt.
So einfach diese Formel zunächst klingt, so wenig trifft sie jedoch bei, genauerer Betrachtung der einzelnen Gebiete des sozialen Lebens, auf die Wirklichkeit zu. Was ihren Erfolg nicht schmälert: Es gibt genügend Beispiele in unserer Zivilisation, in denen gerade Wirklichkeitsferne den größten Erfolg brachte.
Ur-Phänomene in Wirtschaft und Kultur: Kaufen und Schenken
Welche Differenzierungen ergeben sich, wenn man die einzelnen Bereiche (Geistesleben, soziales Leben und Wirtschaftsleben) ihren Gesetzmäßigkeiten entspreechend betrachtet? Daß Öffentlichkeitsarbeit im Bereich des Wirtschaftslebens darauf abzielt, den Kauf und Verkauf von Produkten zu fördern, braucht wohl nicht weiter hinterfragt zu werden. Nicht berücksichtigt wird dabei der Einfachheit halber, daß auch die Wirtschaft ihr Geistesleben hat (wenn es z.B. darum geht, bestimmte Firmenphilosophien zu vermitteln). Der Kaufvorgang als solcher hat eine gewisse Endgültigkeit; er ist das Endresultat des Wirtschaftsprozesses, der mit dem Produktionsprozess beginnt. Zugleich ist das Kaufen auch (von Ausnahmen abgesehen) im Prinzip ein Vorgang, der nicht umkehrbar ist: Ein Produkt soll seinen Empfänger erreichen, auf Dauer, nicht nur zeitweise (Leasing und Miete gehören in diesem Sinne einem anderen Bereich an).
Ähnlich unumkehrbar gestaltet sich der Prozeß im Kulturgeschehen. Allerdings handelt es sich hier nicht um einen Kaufvorgang, sondern um ein Schenkungsgeschehen, das einen kulturellen Prozeß abschließt. Der Künstler oder Lehrer lebt nicht davon, daß er Kunst oder Bildung "verkauft" (das sieht nur die auf das Kaufen fixierte Denkgewohnheit unserer Zeit so): er lebt in erster Linie von dem Interesse, der Anerkennung, der Achtung, ja der Liebe, die ihm von seinem Publikum entgegenkommt; dieser Anerkennung entsprechend, wird sich auch sein Einkommen gestalten. Sympathie und Anerkennung kann ich jedoch nicht als Zahlungsmittel einsetzen (sie wären dann Prostitution); ich kann sie nur verschenken.
Leihen: das Kommunikationsprinzip im sozialen Leben
In der Mitte zwischen Wirtschaft und Kultur pendelt das soziale Leben. Und wenn im Wirtschaftsleben der Kaufvorgang ein Ziel, im Geistesleben die Schenkung ein Resultat ist (beide sind unumkehrbar, gehen jedoch von völlig unterschiedlichen Beweggründen aus), so wird der Kommunikationsprozeß im sozialen Leben durch den Leihvorgang geprägt. Ich leihe einer Initiative mein Interesse, leihe einer politischen Vereinigung meine Stimme, leihe einem Gesprächspartner mein Ohr, verleihe vielleicht gar einen Orden für Leistungen im sozialen Zusammenhang. Alle diese Attribute (Aufmerksamkeit, Interesse, Zustimmung usw.) kann ich auch wieder zurücknehmen, wenn der Grund, der mich zum Verleihen bewegte, aufgehört hat zu existieren.
Gerechtigkeit schaffen
Und noch ein weiterer Punkt ist von großer Wichtigkeit, wenn es um die Grundprinzipien der Öffentlichkeitsarbeit im politischen (also sozialen) Bereich geht: Verleihen kann ich nur, was mir bereits gehört, was in mir bereits vorhanden ist. Öffentlichkeitsarbeit im Sozialen wird also nicht dahingehend wirken, etws erzeugen zu wollen: Will ich Interesse erzeugen, wo es nicht prinzipiell vorhanden ist, werde ich zum Sektierer, der die Menge mit Weltverbesserungsideen bestenfalls langweilt. Auch geht es nicht darum, einer Verbraucherschaft etwas zu "verkaufen": Denn was ich habe, brauche ich nicht mehr zu kaufen; und der Verkäuferwille eines mittelmäßigen Demagogen bewirkt, daß sich die Menschen über seine Absicht, sie für dumm zu "verkaufen", ärgern.
Ziel sollte vielmehr sein, etwas (unter Umständen latent) Vorhandenes zu erwecken. Das setzt Freiheit des Akteurs in der politischen Öffentlichkeitsarbeit auch gegenüber den eigenen Überzeugungen voraus; es fordert Brüderlichkeit von ihm, die es ihm erlaubt, als Gleicher zu Gleichen gewissermaßen selbstlos (weckend) zu handeln. Sind diese Grundhaltungen da, vervielfältigen sie sich in der Zuhörerschaft: Die Freiheit gegenüber den eigenen Ideen bewirkt im Zuhörer die Freiheit, selbst aus dem eigenen Inneren vorhandene Ideen heraufzuholen; die Brüderlichkeit des Redners gegenüber seinem Publikum schafft das Zusammengehörigkeitserlebnis: "Dieser Mensch spricht mir aus der Seele". Wenn dann dem Redner (oder dem über andere Medien Kommunizierenden) aufgrund dieses Erlebnisses die Zustimmung "verliehen" wird, ist dies ein Akt der Gerechtigkeit: Der Kommunizierende übt Zurückhaltung und Brüderlichkeit; der Aufnehmende leiht Interesse und Zustimmung. Wieviel Menschen in Deutschland allein könnten wohl für so ein Gerechtigkeitserlebnis aufgeschlossen werden? Der Umbruch in der ehemaligen DDR belegt: Wenn die Zeit es erfordert, können es Millionen sein.
Die Kunst der Lapidarität
Kurz: Politische Öffentlichkeitsarbeit sollte nicht danach suchen, Ideen zu vermitteln, auch nicht danach streben, Taten zu fordern. Vielmehr wird es darum gehen, ein menschliches Klima zu schaffen, das ein sozial gerechtes und politisch wirksames Handeln ermöglicht. Und um dieses zu erreichen, muß die hohe Kunst der Lapidarität, der einfachen Aussage gepflegt werden. Denn je komplizierter die Aussage, desto stärker spürt man in ihr noch die Gehirnwindungen des Sprechers (oder Schreibers); und die interessieren in diesem Fall nicht. Statt "Die zeitgeschichtliche Notwendigkeit eines mitteleuropäischen Dreigliederungsimpulses vor dem Hintergrund islamisch-anglo-amerikanischer Herausforderungen" wäre die Formulierung "Warum hat die Politik im Golfkrieg versagt?" angebrachter.
Die Wahl der Mittel
Es entspricht dem Wesen des Sozialen, das die unmittelbarste Form der Kommunikation, das Sprechen von Mensch zu Mensch, auch für die politische Öffentlichkeitsarbeit das wirksamste Mittel bleibt. Nicht umsonst werden vor wichtigen Wahlen hochrangige Politiker kreuz und quer durchs Land transportiert, um auf Kundgebungen vor Tausenden von Menschen oft mehr durch ihre bloße Anwesenheit als durch Argumente zu überzeugen. Auch ausgefeilteste Werbekampagnen können diese persönliche Kommunikation nicht ersetzen. Die effektivsten Mittel der politischen Öffentlichkeitsarbeit sind daher immer noch Kundgebungen, Vorträge, Kongresse, Demonstrationen, gewaltfreie Aktionen, Presse-Kampagnen (hier wirkt der persönliche Kontakt zu Journalisten); in zweiter und dritter Linie folgen Brief-Aktionen (mailings), Unterschriftensammlungen, Flugblatt- und Plakataktionen sowie Anzeigenkampagnen.
Zum Schluß eine kurze Abschweifung: Was hier als Grundgeste für die Bildung politischer Kultur beschrieben wird: das Wecken von Fähigkeiten anstelle des Antrainierens von abrufbaren Leistungen, ist zugleich eines der Urprinzipien der Waldorfpädagogik. Auch aus dieser Verwandtschaft wird die Unmittelbarkeit deutlich, die die Waldorfbewegung mit dem Dreigliederungsimpuls verbindet. Inwieweit sie den gesamtgesellschaftlichen Anforderungen unseres komplexen politischen Lebens gerecht werden kann, das werden die Prüfungen zeigen, denen sich die Waldorfschulen derzeit in aller Härte unterziehen müssen.