Heftiger Widerstand gegen das Netzwerk Dreigliederung
Niederländer verfassten Offenen Brief an Christoph Strawe
In einem vom 22. Mai datierten Offenen Brief haben 63 Mitglieder der "Werkgemeenschap voor sociale driegeleding" starke Bedenken gegen die Netzwerk-Initiative, deren Grüdung, Ziele und Arbeitsweise geäußert.
Die Unterzeichner befürchten eine Vereinnahmung der Dreigliederungsbewegung durch das Büro Strawe, eine Zentralisierung, deren Schrittmacher eng verfilzt seien mit dem "Stuttgarter System" (damit meinen sie den personell verflochtenen Zusammenhang des Bundes der Freien Waldorfschulen, der Anthroposophsichen Gesellschaft in Deutschland sowie einer Reihe anderer Institutionen auf der Stuttgarter Uhlandshöhe). Auch wird die angestrebte Zusammenarbeit mit der Sozialwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach kritisch angesehen, weil nach Auffassung der Unterzeichner von der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft so gut wie nichts für die Dreigliederung unternommen worden sei. Die Netzwerkgründung sei im Detail mit den Funktionären aus Dornach und Stuttgart abgesprochen worden, während diejenigen, die seit Jahren um die Verwirklichung der Dreigliederung bemüht gewesen seien, nicht gefragt worden seien. Außerdem beanstanden die Kritiker die Organisationsform des Netzwerks, die weder genügend beraten, noch der Dreigliederung entsprechend eingerichtet worden sei.
Der Offene Breif, der sich über weite Passagen mit Details beschäftigt, hat eine Länge von 6 eng beschriebenen DIN-A-4-Seiten, zusammen mit der Antwort von Christoph Strawe würde er 15 Rundbrief-Seiten füllen.
Trotz erheblichem Druck hat sich Christoph Strawe, im Interesse der Lesbarkeit des Rundbriefs, nicht zu dem geforderten wörtlichen Abdruck entschließen können und dafür angeboten, über die Kernpunkte des Briefs und seiner Antowrt ausgewogen zu berichten (1) und in einem Sonderdruck beide Texte vollständig zu dokumentieren. Dieser Sonderdruck ist auf Anforderung beim Netzwerk-Büro erhältlich.
Zum Hintergrund der Auseinandersetzung muß man folgendes wissen: Vor Jahren gab es die Arbeitsgemeinschaft für Dreigliederung als eine Art Dachverband, in dem ein Großteil der anthroposophischen Sozialwissenschaftler und -praktiker sowie Menschen, die die Dreigliederung politisch verwirklichen wollten, sich zusammengeschlossen hatten. Diese Arbeitsgemeinschaft hatte den Schwerpunkt ihrer Wirksamkeit in Deutschland und der Schweiz und eine starke Abteilung in den Niederlanden. Nachdem die internationale Geschäftstelle in Berlin sich etwa 1980 aufgelöst hatte, konnte die relativ starke niederländische "Schwester" ihre Arbeit kontinuierlich weiterführen. Aus einem ihrer Treffen ging die meines Wissens weltweit erste systematische und regelmäßige Dreigliederungsausbildung hervor.
Als im Sommer letzten Jahres der von C. Strawe am 23. April 1989 auf einer Tagung der Sozialwissenschaftlichen Sektion in Dornach gehaltene Vortrag "Sozuiale Dreigliederung – Chance für eine neue Bewegung in einem sich wandelnden Europa" im Goetheanum-Verlag erschien und ich eine Reihe von Freunden voller Begeisterung auf dieses Werkchen aufmerksam machen wollte,kam bereits Kritik aus Holland. Dies muß man wohl so verstehen, daß sich die holländischen Freunde bei der Netzwerk-Gründungs-Initiative übergangen fühlten.
Der allenfalls berechtigte Kern an dieser Stimmung liegt darin, daß C. Strawe zwar vielfältigste Gespräche mit Menschen aus den unterschiedlichsten Richtungen der Dreigliederungsbewegung geführt hat, es aber – ohne daß eine Ausgrenzungsabsicht vorlag – aus Zeitgründen weder zu Gesprächen mit den in der Werkgemeenshap zur Zeit maßgeblichen Menschen noch mit den mit ihnen eng befreundeten Mitarbeitern der Dreigliederungsinitiative um die Zeitschrift "Jedermensch" in Wasserburg gekommen war. (Strawe spricht in seiner Antwort selbst von einem "Schönheitsfehler".) Daß ich in Absprache mit Strawe einige Freunde der Arbeitsgemeinschaft zur Stuttgarter Netzwerk-Gründung eingeladen habe, konnte diesen Eindruck nicht beseitigen.Die in Stuttgart teilnehmenden drei Freunde der Werkgemeenschap waren von vorherein äußerst skeptisch eingestellt und gingen vor allem von Vorstellungen aus, die sich an die Organisationsform und Entstehungsweise der "Werkgemeenschap" orientierten und nur wenig mit der Initiative Netzwerk zu tun hatten. Darin lag auch der Grund dafür, warum sie bei den übrigen Teilnehmern der Stuttgarter Beratung keine Resonanz fanden, was dann wiederum als mangelnde Offenheit des Netzwerk-Kreises interpretiert wurde.
Entsprechend äußerten sich führende Mitglieder der Werkgemeenschap in einem Artikel zur Stuttgarter Tagung in der Zeitschrift "Jedermensch" (2).
In einer außerordentlichen Mitgliederversammlung der Werkgemeenschap am 25. März in Utrecht, die sich ausschließlich mit dem Netzwerk beschäftigte, zu der aber Christoph Strawe nicht eingeladen wurde (3), wurde beschlossen, einen Offnen Brief an Strawe zu verfassen, gleichzeitig aber die Ansicht vertreten, bei einem Gespräch mit dem Netzwerk könne sowieso nichts herauskommen.
Die ganze Angelegenheit weist eine gewisse Tragik auf. Einerseits, weil in der Organisationsform des Netzwerks – in dem ja freie Initiative ohne Konsens und Unterordnungszwänge herrschen soll – doch mehr Gemeinsamkeiten mit dem Werkgemeenschap-Ansatz stecken, als die Freunde unterstellen (auch in der Werkgemeenschap soll jedes Mitglied nur für sich sprechen, weshalb auch der Offnen Brief von den Unterzeichnern individuell verantwortet wird). Zm anderen ist für Christoph Strawe und alle anderen Beteiligten die Frage der "Organisationsentwicklung" im Sinne eines gemeinsam zu gestaltenden Prozesses nch meiner Erfahrung viel offener, als das im Brief aus Holland dargestellt wird.
Insofern wären Gespräche sinnvoller als Polemik. Sowohl der Verfasser als auch Christoph Strawe (trotz der persönlichen Diskriminierungsversuche, von denen die Kritik leider nicht frei ist) wären jederzeit bereit, am "runden Tisch" über alle Fragen zu sprechen. Die Dreigliederungsbewegung ist schon mehr als einmal durch internes Gerangel und Richtungskämpfe schwer beschädigt worden. Vielleicht könnte man zur Abwechslung auch einmal miteinander statt gegeneinander vorgehen. Oder wenigstens akzeptieren, daß es verschiedene Arbeitsansätze geben kann.
Fußnoten
(1) Die Antwort wurde in 63 Exemplaren nach Holland geschickt, um jeden Unterzeichner zu erreichen. Es spricht über den Grad des vorhandenen Mißtrauens eine deutliche Sprache, daß dies als Eimischung in die inneren Angelegeneheiten der Werkgemeenschap interpretiert und mit dem Argument gekontert wurde, die Information der Unterzeichner über die Antwort (bis Mitte August war sie jedenfalls nicht erfolgt) gehe das neetzwerk nichts an. (Anmerkung der Redaktion)
(2) Auf die Darstellung im Jedermensch hatte Ramon Brüll damals mit einer Richtigstellung geantwortet. (Anmerkung der Redaktion)
(3) Es wurde bei der Versammlung sogar mit einer ganz offensichtlichen Falschinformation der Eindruck zu erwecken versucht, Strawe sei ferngesteuert.